: „Der Streß reibt einen ziemlich auf“
■ Zehn Ex-Wagenburgler campieren in Friedrichshain
Manche Nächte gehen nur vorbei, wenn man genügend Alkohol intus hat. Für zehn ehemalige Bewohner der Wagenburg an der East Side Gallery war das von Dienstag zu Mittwoch der Fall. In einem kleinen Park in Friedrichshain unter löchrigen Plastikplanen zusammengedrängt, gruben sie sich immer tiefer in ihre Schlafsäcke und schickten Stoßgebete zum Himmel. Doch die Gewitterfront hatte es in sich. Mit am Leibe klebenden Klamotten krochen sie gestern morgen aus dem feuchten Lager. Die durchweichten Schlafsäcke rochen wie nasse Hunde.
Seit die Wagenburg vor einer Woche von der Polizei geräumt wurde, campieren die zehn Menschen in der Grünanlage an der Warschauer Straße, wenige hundert Meter von der East Side Gallery entfernt. Doch nach der letzten Nacht wird ihnen die Obdachlosigkeit allmählich sauer. „Der Streß reibt einen innerlich ziemlich auf. Da bleibt es nicht aus, daß es manchmal Zoff gibt“, erklärt der 42jährige Glatze.
Glatze und seine mit Drillingen im sechsten Monat schwangere Freundin Manuela* sowie der 35jährige Speedy, der aufgrund seiner früheren Pattex-Schnüffelsucht gehbehindert ist, wollen versuchen, bei Freunden in einer Wagenburg unterzukommen. Und wenn das nicht klappt? Glatze und Speedy zucken ratlos mit den Schultern. „Manuela rührt seit zwei Tagen keinen Alk mehr an und muß dauernd kotzen“, erzählt Glatze, während ihm die Tränen in die Augen steigen. „Wir machen uns um sie alle fürchterlich einen Kopf.“ Er sei bald soweit, sich auf Wohnungsuche zu machen. „Obdachlosenheim kommt nicht in Frage. Da wird so geklaut, daß man die Klamotten nachts an die Wand nageln muß.“
Der Streß der letzten Tage und Wochen hat den dreien so zugesetzt, daß sie schon mit ganz wenig zufrieden sind. Statt auf die Polizei zu schimpfen, die die Gruppe vom Rasen der „geschützten Grünanlage“ vertrieb, sind sie froh, daß sie von den Beamten auf der betonierten Fläche des Parks geduldet werden. „Hier kann man zwar kein Zelt aufbauen und wird nachts von den Bullen abgeleuchtet, kann da aber in Ruhe sitzen und liegen. Das ist allemal besser, als sich einen Keller oder ein Dach suchen zu müssen, wo man ständig aufpassen muß, daß man nicht weggescheucht wird“, erzählt Speedy. Dankbar ist die Gruppe auch, daß sie sich an der BP-Tankstelle um die Ecke Wasser holen und dort aufs Klo gehen kann. Auch die „Berliner Tafel“, die Treberhilfe und die Drogenberatungstelle Misfit unterstützten sie.
Die zehn Menschen teilen, was sie können. Einen 13jährigen Jungen, der aus einem Heim abgehauen war, nahmen sie in ihrem Lager auf. Als der Junge nach dem Gewitter vor Nässe blaue Lippen hatte, brachten sie ihn zum Hauptbahnhof. Die Rotkreuz-Helfer hätten den Jungen umgezogen und dann der Polizei übergeben, erzählt Speedy betrübt. Plutonia Plarre
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