: Staat im Stadtstaat
■ Hamburg: Polizeichef gefeuert, Senator wackelt
Die Hamburger Polizei ist, anderslautenden Gerüchten zum Trotz, keineswegs in einer Krise. Sie ist die Krise. Sie ist dies traditionell, weil strukturell. Der Rücktritt des farblosen Polizeipräsidenten ist nur ein weiteres Mosaiksteinchen. Arved Semerak wird niemand vermissen, und dennoch wird er eine Lücke hinterlassen, die er selbst nie ausfüllen konnte. Wer und mit welchen Kompetenzen sein Nachfolger wird, dürfte für Zukunft und Selbstverständnis der Hamburger Polizei entscheidend sein: demokratisch kontrollierte Großstadtpolizei oder Staat im Stadtstaat.
Als ebensolchen begreift sie sich traditionell. Der letzte Hamburger Innensenator, der „die Truppe“ halbwegs im Griff hatte, war Anfang der 60er Jahre der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt. Ein Ärmelhochkrempler, der anpackte, was anzupacken war: erst dübeln, dann grübeln. Seine Nachfolger, ebenfalls allesamt Sozialdemokraten, waren entweder Zauderer wie Hans- Ulrich Klose oder Hardliner wie der Exmajor Alfons Pawelczyk, dessen Wortschatz die Begriffe „Disziplin und Kameradschaft“ nicht wesentlich überschritt. Beide Typen beförderten, der eine als Abwehrreaktion und der andere aus Überzeugung, Korpsgeist und polizeiliches Selbstverständnis à la Weimarer Republik. Diese Denk- und Gefühlsschemata bescherten der Polizei der Elbmetropole zweifelhaften Ruhm. Dem Hamburger Kessel am 8. Juni 1986, der größten Massenfestnahme in der Geschichte der Bundesrepublik, folgte der vor knapp zwei Jahren aufgedeckte Hamburger Polizeiskandal. Der jetzige Innensenator Hartmuth Wrocklage, ein diskursfreudiger Liberaler mit Resten von 68er-Sozialisation, sitzt zwischen allen Stühlen.
Er glaubt an „das Primat der politischen Führung“ (Wrocklage), und er glaubt an die Bereitschaft des Apparates, den von ihm geforderten Strukturwandel zur demokratischen Dienstleistungsorganisation mitzumachen. Einflußreiche Kräfte innerhalb des Apparates und die Polizeireporter der Hamburger Boulevardblätter halten ihn deswegen schlicht für einen imkompetenten Schwätzer. Wenn es dieser Koalition gelänge, einen ihrer Apparatschiks als neuen Polizeipräsidenten durchzusetzen, würde der Korpsgeist erneut fröhliche Urständ feiern. Sven-Michael Veit
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