: Um zu überleben, muß der Gegner sterben
■ Der Hutu-Tutsi-Konflikt in Burundi und Ruanda hat sich in den letzten Jahren beständig verschärft und von seinen komplexen sozialen Ursprüngen entfernt
Der Konflikt zwischen Hutu und Tutsi in Burundi und Ruanda wird von Beobachtern oft als unverrückbare Konstante der Geschichte dargestellt. Er ist aber einer ganz bestimmten historischen Entwicklung geschuldet.
Der Begriff „ethnisch“ ist dabei problematisch, da Hutu und Tutsi den üblichen Kriterien von Ethnien kaum entsprechen: Sie sprechen dieselbe Sprache (Kinyarwanda bzw. Kirundi), bewohnen das gleiche Territorium und sind entgegen der Kolonialmythologie auch oft physisch nicht zu unterscheiden. Die Namen Hutu und Tutsi sind denn auch eher eine Bündelung vorkolonialer Statuszuschreibungen und Klientelbeziehungen zwischen den Königsfamilien von Ruanda und Burundi und den von ihnen beherrschten Bauern. Die strikte Trennung zwischen Hutu und Tutsi geht auf die belgische Volkszählung von 1936 zurück, bei der als Tutsi klassifiziert wurde, wer mehr als zehn Rinder besaß. Damit entstand die noch heute in beiden Ländern zitierte Bevölkerungsverteilung von 85 Prozent Hutu und 14 Prozent Tutsi.
Sowohl in Ruanda als auch in Burundi gab es gegen Ende der Kolonialzeit Bestrebungen, die alten Monarchien zu modernisieren. Während dies in Ruanda 1959 die Form einer Revolution annahm, bei der sozialistisch bewegte Hutu die Tutsi-Elite ins Exil trieben, war dies in Burundi zunächst keine eindeutig „ethnische“ Angelegenheit. Burundis Modernisierer versammelten sich in den 50er Jahren in der „Union für den Nationalen Fortschritt“ (Uprona), die sich damals aus Tutsi und Hutu rekrutierte und eng mit den Sozialrevolutionären um Patrice Lumumba im benachbarten Belgisch-Kongo zusammenarbeitete. Dies änderte sich erst 1966, als das Militär die Macht ergriff, das Königshaus stürzte und die „Uprona“ zur Staatspartei avancierte. Burundis neue Herrscher definierten sich als rein Tutsi, als regionales Gegengewicht zum Hutu-beherrschten Ruanda, und schlossen die Hutu vom öffentlichen Leben aus.
Damit nahm die burundische Politik ihr heutiges Gesicht an: Die Tutsi sehen sich als Herrschervolk und Inhaber des Gewaltmonopols, für die jede Regung seitens der Hutu zu mehr Teilhabe an der Politik oder auch nur zu höherer Bildung eine Bedrohung darstellt. Seit 1966 bewegt sich Burundi im mörderischen Kreislauf von immer wiederkehrenden Hutu-Aufständen, auf die die Tutsi-Armee hundertfach blutiger zurückschlägt. Tausende Tutsi und Hunderttausende Hutu sind dabei ums Leben gekommen.
Dabei sind die Schicksale Ruandas und Burundis in einer beunruhigenden Weise verzahnt. Die größten Spannungen ergaben sich dann, wenn beide Länder von derselben Gruppe beherrscht wurden.
1993 versuchte sich Burundi zu demokratisieren. Bei den ersten freien Wahlen im Juni 1993 siegte die Hutu-dominierte Partei Frodebu über die bisherige Staatspartei Uprona. Damit stellten zum ersten Mal in der Geschichte Hutu in Burundi und Ruanda die Regierung. Burundis unterlegene Tutsi glaubten an ihren sicheren Untergang, zumal in Ruanda bereits Hutu-Extremisten den Völkermord an den dortigen Tutsi vorbereiteten. Sie reagierten mit der Ermordung des burundischen Präsidenten im Oktober 1993. Die Rückkehr der Tutsi-Militärelite an die Macht wurde im September 1994 durch die Vereinbarung einer Machtteilung zwischen Frodebu und Uprona besiegelt. Hernach war klar, daß die Tutsi mit ihrer Kontrolle der Armee stärker waren als die Hutu mit ihrer Kontrolle des Parlaments, was bedeutete, daß Burundis Demokratisierung gescheitert war.
Zu diesem Zeitpunkt hatte aber in Ruanda bereits die Tutsi-Guerilla „Ruandische Patriotische Front“ (RPF) das Hutu-Völkermordregime besiegt und selbst die Macht ergriffen. So lag nun zum erstenmal seit der Kolonialzeit die Macht in Ruanda und Burundi in Tutsi-Händen, woraufhin bewaffnete Hutu-Gruppen beider Länder vom zairischen Exil aus den Guerillakampf aufnahmen.
Dabei gibt es zwischen Ruanda und Burundi durchaus historisch bedingte Unterschiede. Das Königreich Burundi war sehr viel weniger zentralisiert als das in Ruanda und gründete sich mehr auf militärische Macht als auf eine dynastische Mythologie. So war der Konflikt in Burundi immer auch ein Konflikt zwischen Militärherrschaft und Rechtsstaat, bei dem bis heute Angehörige beider Gruppen auf beiden Seiten prominente Positionen einnehmen, was für Ruanda nicht im selben Maße gilt.
Eines aber haben beide Länder gemeinsam, und es überlagert zunehmend alle Differenzen: Hutu und Tutsi sind gleichermaßen zunehmend überzeugt, ihr Überleben hänge von der Auslöschung der anderen ab. Seit der blutigen Militärherrschaft in Burundi und dem Völkermord in Ruanda haben sowohl Hutu wie Tutsi ihre eigene Leidensgeschichte. Die Tutsi sehen sich als gefährdete Minderheit, die besonderen Schutz braucht; die Hutu sehen sich als benachteiligte Mehrheit, die ihre demokratischen Rechte einklagt.
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