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„Hätten Sie das nicht getan?“

taz-Serie Rebellen & Querköpfe, Folge 4: Hannelore Blaffert, die Freundin der Mauersegler  ■ Von Elke Spanner

„Die SAGA hat mich gehaßt wie die Pest“, sagt Hannelore Blaffert und grinst dabei übers ganze Gesicht: „Haach, ich hab' da x-mal angerufen.“ Kein Zweifel, die Frau ist hartnäckig. Nahezu gelassen schildert sie, wie sie mit dem Fernglas vom Bürgersteig aus brütende Vögel unter der Dachrinne beobachtet, ihre Küche den Papageien als Großraumkäfig opfert und die Feuerwehr zum Aufhängen von Nistkästen die Leiter hochjagt – mit einer Selbstverständlichkeit im Erzählen, als sei es eine Alltäglichkeit, sich die Rettung einer Kolonie von Mauerseglern zur Aufgabe zu machen. Die arbeitslose Kauffrau hat genau das getan.

Hannelore Blaffert wohnt an einer vielbefahrenen Hauptstraße. Pausenlos rauschen Autos vorbei, bei geöffneter Balkontür muß man laut sprechen, um die Motorengeräusche zu übertönen. Selbst ihre Papageien rufen ständig „Auto, Auto“ aus der Küche. Ein zweiter Käfig steht im Wohnzimmer, daneben hängt ein aus Spiegelglas modellierter Vogel an der Wand. Seit 34 Jahren lebt Hannelore Blaffert da, „wo es früher ganz anders aussah, richtig grün“, wie sie erzählt. Davon ist nicht mehr viel geblieben. So erscheint der verzweifelte Kampf der Vogelfreundin wie der berühmte Kampf gegen die Windmühle.

Die SAGA hatte die resolute Frau abzuspeisen versucht, als sie sich erstmals darüber beschwerte, daß die Wohnungsbaugesellschaft die Nistplätze von Mauerseglern zerstörte. Das war im Frühjahr 1995. Hannelore Blaffert war ein Baugerüst vor dem SAGA-Haus Lehnhartzstr. 1 aufgefallen. Sofort läuteten bei ihr die Alarmglocken. Brüteten da nicht unter der Dachrinne Mauersegler? Sie kaufte sich ein Fernglas. Tatsächlich: „Vor dem Gerüst war ein Netz gespannt. Dadurch kamen die Mauersegler nicht mehr an ihre Nistplätze heran“, erzählt Blaffert. „Verzweifelt sind sie immer wieder daran vorbeigeflogen, um sich einen Zugang zu suchen.“ Vergeblich. Hannelore Blaffert handelte. Sie rief bei der SAGA an, beschwerte sich – und blitzte ab. „Die Mauersegler brüten gegen Anfang Juni. Die SAGA hat damals versprochen, daß die Netze bis dahin abgehängt sind.“ Doch daran gehalten hat sich die Wohnungsbaugesellschaft nicht. Die Mauersegler mußten umziehen.

So nicht, dachte sich Blaffert und entschied, sich in diesem Jahr rechtzeitig darum zu kümmern, daß die Zugvögel bei ihrer Rückkehr ihre alten Brutstätten wieder vorfinden. Immer wieder rief sie bei der SAGA an, bis sie die Zusage hatte, daß bei den Renovierungsarbeiten am Haus die Einfluglöcher für die Mauersegler erhalten blieben. Doch auch diesmal hielt sich die SAGA nicht an ihr Versprechen: „Mit Kupferblechen und Mörtel haben sie die Löcher verschlossen.“ Blaffert war empört. Ein Telefonat jagte das nächste. Entnervt versprach die SAGA schließlich, die Löcher wieder zu öffnen. Das tat sie dann auch, doch die Öffnungen waren zu klein.

Blaffert riß der Geduldsfaden. „Ich konnte nicht mehr essen, so traurig war ich.“ Sie alarmierte die Vogelschutzwarte der Umweltbehörde und beschwerte sich beim Tierschutzverein. Dann ging sie auf die Suche nach einer neuen Herberge für die Mauersegler. Tagelang begutachtete sie Wohnhäuser in der Nachbarschaft, prüfte, welche für Brutstätten geeignet erschienen, und erkundigte sich nach den Eigentümern. Schließlich geriet sie an ein Architektenehepaar, dem ein Haus nahe der urspünglichen Brutstätte der Mauersegler gehört. Doch auch die wollten keine Nistkästen anbringen, „aus Angst vor Schäden am Mauerwerk“. Der Ruhe in ihrer Stimme merkt man an, wie sehr sie abweisende Antworten gewöhnt ist, ohne sich damit abzufinden: „Ich habe die ganze Nacht wachgelegen, so deprimiert war ich.“ Am nächsten Tag meldete sich die Architektin überraschend bei ihr: „Wir machen es.“ Hannelore Blaffert weinte vor Freude.

Dann ging alles ganz schnell. Der Tierschutzverein sagte zu, die Nistkästen zu finanzieren, die Vogelschutzwarte gab die Bestellung auf. Geliefert wurde an Hannelore Blaffert. Die hatte mit der örtlichen Feuerwehr vereinbart, daß sie sich bereit hält, die Kästen anzubringen. Am 5. Juni befestigten drei Feuerwehrleute in schwindelerregender Höhe mit Bohrmaschine und Dübeln acht Nistkästen direkt unter der Dachrinne des Hauses in der Lehnhartzstraße.

Es war nicht das erste Mal, daß sie die Feuerwehr zur Lebensrettung von Mauerseglern bestellte. „Als kleines Mädchen habe ich mal Mauersegler entdeckt, die sich auf einem Dachboden verfangen hatten.“ Sie rief die Feuerwehr, die befreite die Vögel. Viermal mußte sie anrücken, weil Hannelore immer wieder auf dem Boden nachsah – und eingesperrte Vögel fand.

Entdeckte sie als Kind auf ihren Streifzügen durch Eppendorf Küken, die aus dem Nest gepurzelt waren, nahm sie die jungen Vögel sogar zur Schule mit. „In den Pausen habe ich für zehn Pfennig Hackfleisch gekauft und sie damit gefüttert“, schmunzelt Blaffert – die im vergangenen harten Winter täglich fünfmal Zaunkönige, Gartenrotschwänze, Dompfaffen, Buchfinken und die diversen Meisenarten im Hinterhof mit Wasser versorgte. Fast erstaunt blickt sie auf die Frage: „Fünfmal am Tag?“ zurück: „Hätten Sie das etwa nicht getan?“

Nächste Folge: Der eigensinnige Gottesmann

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