Wand und Boden: Erste Takte des Walkürenritts
■ Kunst in Berlin jetzt: Rainer Ruthenbeck, Dieter Hacker, Dennis Del Favero und Rolf Behm
Fast erscheint einem der Rundgang ausschließlich in Charlottenburg, dem angestammten Galerienviertel, ein bißchen exotisch. Vor lauter Berlin-Mitte wurde es inzwischen geradezu Peripherie. Liegt Charlottenburg womöglich im Zentrum der Peripherie?
Die Fotos von Dieter Hacker jedenfalls, in der Busche Galerie, haben viel mit der Peripherie zu tun. Zwar ist „Die Nacht“, wie Hacker seine zehnteilige Fotoserie aus der gleichnamigen Mappe mit zehn weiteren Lithographien betitelt, an sich kein marginales Thema der Fotografie, aber Hackers Schnappschüsse zeigen selbst nur Randständiges. Dieser Blick kommt nicht von ungefähr. Hacker war einer der ersten, der auf Kollisionskurs mit dem Kunstbetrieb ging.
Damals, in den 70er Jahren, lief der kritische Diskurs noch unter Titeln wie „Volkskunst“ oder „Volksfoto“, wie das Magazin hieß, das Hacker gemeinsam mit Andreas Seltzer herausgab. Dann mutierte Hacker zu Beginn der 80er Jahre vom politischen Konzeptualisten zum Maler pompöser Bilder (was, bei genauerem Hinsehen, seinen Hang zum Peripheren nur weiter bestätigt). Aber wenn er seine Fotografien angeblich erst 1995 erstmals öffentlich präsentierte, so ist das nicht ganz richtig. Denn einige seiner Motive hatte er in „Volksfoto“ schon als „anonyme“ Knipserfotos veröffentlicht.
Die Ästhetik des laienhaften, spontanen Schnappschusses war aber bei ihm ganz offensichtlich schon immer nur eine scheinbare, vorgeschobene. Man erkennt in seinen Bildern zuviel Raffinement. Das Bild eines totgefahrenen Tiers am Straßenrand sieht jedenfalls mehr nach Weegees Täter- und Opferfotografie aus, als nach privatem Dilettantismus. Und das Betrachten des im leeren Himmel seltsam an den Bildrand weggerutschten Hubschraubers begleiten gewissermaßen schon die ersten Takte des Walkürenritts. Hackers Fotos sind ausgesprochen filmisch, und das (künstliche) Licht, das seine Nacht erhellt, ist zufällige, aber großartige Dramaturgie.
Auch Reiner Ruthenbecks Klanginstallation im vorderen Raum stammt aus den frühen 70er Jahren, auch wenn sie jetzt erstmals gezeigt wird. Höchste Zeit, denn die Sache, um die es geht, stirbt aus. Vielleicht hat deshalb Francis Zeischegg, eine junge Künstlerin des Goldrauschprojekts im Martin-Gropius Bau, erst kürzlich die Schläge beim Teppichklopfen in Gips gegossen. Ruthenbeck nahm das „Teppichklopfen“ 72/73 mit dem Tonband auf. Jetzt ertönt es aus einer alten Uher-Bandmaschine, die auf einem abgetretenen Perser steht. An Ruthenbecks klanglicher Raummarkierung überzeugt, daß die Abfolge der Schläge tatsächlich genau die Zeitverzögerung transportiert, die das Schlagen gegen einen schweren, aber flexiblen Gegenstand mit sich bringt: Tempi passati.
Bis 17.8., Di.–Fr. 12–18, Sa. 11–14 Uhr, Wielandstraße 34
Diese Art von Körperfotografie hat man schon vielfach gesehen: Während ein Detail der Haut, eine Falte, ein paar Häarchen scharf fokussiert sind, verschwimmt der Körper drum herum ins Ungefähre, Unheimliche. Die Augen stehen dann bedrohlich nah beieinander, und der Satz unter dem blau eingefärbten Foto, „Ich war der letzte, der Nina nahm“, läßt erst recht nichts Gutes ahnen.
Tatsächlich will die großformatige, modische Körperfotografie des Australiers Dennis Del Favero künstlerisches Transportmittel sein, den Krieg in Bosnien, die Aggression der feindlichen Soldaten und Söldner nicht nur gegeneinander, sondern vor allem gegen die Frauen, zu thematisieren. Das „Motel Vilina Vlas“, das der Ausstellung in der Galerie Andreas Weiss den Titel gibt, war eines von 42 Vergewaltigungslagern, die seit 1991 im ehemaligen Jugoslawien dokumentiert wurden. Das ungeheure Ausmaß und die offenkundige Systematik dieser Massenvergewaltigungen sollen erstmals dazu führen, daß in Den Haag auch Vergewaltiger als Kriegsverbrecher verurteilt werden. Dieses juristische Prozedere will Del Favero um die Gerechtigkeit der Kunst ergänzen.
Man darf ihm die Ernsthaftigkeit seiner Bemühung abnehmen. Aber bekanntlich helfen edle Motive der Kunst nicht unbedingt weiter. Del Faveros pathetisches Blau kommt über die ersten Beweggründe dieser Arbeit, die Klage über den männlichen „Todestrieb“ und das gehabte, berühmt-berüchtigte „Mitleid mit den Frauen“ (Henry de Montherlant), nicht wirklich hinaus.
Bis 28.8., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–15 Uhr, Leibnizstraße 45
„Tropische Erfahrungen“ motivieren Rolf Behms Arbeiten auf Papier, die die Galerie Springer zeigt. Und tatsächlich schafft es Behm, daß man sich der südamerikanischen Stimmung in den Zeichnungen Humboldts oder den Stichen Sibylla Merians erinnert, obwohl seine Art der Malerei von deren penibler Deutlichkeit weit entfernt ist. Behms farbenfroher, abstrahierender Stil ist ohne die expressive Malerei der achtziger Jahre undenkbar. 1952 in Karlsruhe geboren, war er, wenig verwunderlich, in den 70er Jahren Meisterschüler bei Markus Lüpertz.
Heute pendelt er zwischen Berlin und Brasilien, wo er seine kleinen oder „leichten Exoten“ und seinen „tropischen Alltag“ findet. Obwohl er seine Bildideen vornehmlich über eine aufwendige, flächig fließende Farbigkeit vermitteln will, fliegt in den „Tropischen Erfahrungen III“ schon mal eine Palme durch die Luft. Sie schwebt dann über der roten Linie eines Horizonts, die dem Bild räumliche Tiefe und die Andeutung eines kleinen Dorfes gibt. Auch seine Exoten geben sich als bunte Vögel zu erkennen. Diese Spur Gegenständlichkeit, Spur eines alltäglichen touristischen Blicks, hält das malerische Blabla einigermaßen im Zaum.
Bis 31.8., Mo.–Fr. 14–19, Sa. 11–14 Uhr, Fasanenstraße 13 Brigitte Werneburg
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