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Ein Kühlschrank wäre überflüssig

In Makedonien zeigt der Balkan sich von seiner friedlichen Seite. In dem Vielvölkerstaat aber gären ethnische Konflikte. Und um ein Auskommen zu finden, bleibt oft nur die Arbeit im Ausland  ■ Von Elke Koch-Nekroumi

In der Wohnküche hängt über billigen Wandteppichen mit Pfauen und romantischen Landschaften ein großes Tito-Porträt. „Unter ihm ging es uns besser“, erinnert sich der Hausherr nostalgisch an alte, jugoslawische Verhältnisse, „damals konnten wir ohne Visum überall hinfahren.“ Familie Ibrahim wohnt in Ohrid, einer 40.000 Einwohner zählenden Stadt im Westen Makedoniens.

Das zweigeschossige Häuschen der Familie steht direkt an einer Ausfallstraße. Statt Bad nur eine „orientalische“ Toilette auf dem Hof, daneben der einzige Wasseranschluß. Auf einem Brett Seifenschale und Zahnbürste, ein kleiner Spiegel. Hier, halb verdeckt von einer in den ersten Stock führenden Außentreppe, wird sommers wie winters an der freien Luft nicht nur die tägliche Hygiene verrichtet, sondern auch Wäsche, Geschirr und Gemüse gewaschen. Einen Kühlschrank besitzt die Familie nicht. Aber der ist ohnehin überflüssig, wenn das Geld für Vorratswirtschaft fehlt. Sechs Jahre hat das Ehepaar mit seinem jetzt fünfjährigen Sohn in Trier gelebt. Bei Ausbruch der jugoslawischen Bruderkriege beantragten sie Asyl. Doch in Makedonien blieb es ruhig, und die Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe stellte keinen Asylgrund dar. So mußten sie vor drei Jahren zurückkehren.

Nezihat und Besim Ibraim sind arbeitslos, die Familie lebt von umgerechnet 100 Mark staatlicher Unterstützung im Monat. „Fleisch kommt nur selten auf den Tisch, und Brot backe ich selbst, das ist billiger“, erklärt Nezihat. Im täglichen Leben komme man schon durch, schlimm seien die besonderen Ausgaben für Kleidung, Schuhe, Medikamente und Arztbesuche. Die Enddreißigerin muß regelmäßig Medikamente nehmen, die viel vom Budget verschlingen.

Nicht immer war das Leben so beschwerlich in Ohrid. Das am gleichnamigen See in 700 Meter Höhe gelegene Städtchen war früher neben der Adriaküste das Sommerurlaubsgebiet Jugoslawiens. Dutzende Hotels mit Kapazitäten von mehreren hundert Betten sowie etliche Campingplätze zeugen noch heute davon. Doch seit dem Zerfall Jugoslawiens bleibt die zahlungskräftige ausländische Kundschaft aus. „Im Ausland setzt man alle Staaten des früheren Jugoslawien gleich und meint, hier herrsche Krieg und Chaos“, umreißt der frühere Reiseleiter Goce die Lage. Heute komme allenfalls ein Reisebus aus dem benachbarten Bulgarien. „Die Autoritäten sind unfähig, den Tourismus anzukurbeln. Und wer sich auf eigene Faust hierher wagt, findet am Flughafen von Skopje noch nicht einmal einen Bus in die 30 Kilometer entfernte Stadt.“

Ohrid gilt den Slawomakedoniern als Wiege ihrer Kultur. Hier schuf zu Beginn des 10. Jahrhunderts der heilige Kliment, Schüler der Slawenapostel Kyrill und Method, das noch heute gültige kyrillische Alphabet. Zahlreiche Kirchen und Kapellen, verstreut im Gewirr der steilen Gassen, erinnern daran, daß die Stadt einst Sitz eines eigenen Patriarchats war. Unterhalb des Altstadthügels, am Ende der Sveti-Kliment-Straße, dem „Korso“ mit seinen Boutiquen, Schmuckläden und Cafés, ändert sich das Bild. Winzige Restaurants mit drei Tischen, Lebensmittelläden von wenigen Quadratmetern, die ihr Angebot kaum fassen können, Männern vorbehaltene Kaffeestuben, aus denen orientalische Klänge dringen. Hier in den alten Stadtrandsiedlungen bestimmen Moscheen das Bild. Der muslimische Bevölkerungsanteil Makedoniens wird von einheimischen Soziologen auf ein Drittel beziffert. Fast fünfeinhalb Jahrhunderte lang gehörte die Region zum Osmanischen Reich.

Im September 1991 erklärte das Land mit 2,2 Millionen Einwohnern und einer Fläche von 25.000 Quadratkilometern nach einem Referendum seine Unabhängigkeit. Das Staatsvolk bilden die rund 65 Prozent slawischen Makedonier. Nationale Minderheiten stellen die Albaner, Türken, Roma, Serben und Vlachen. Mit der Aufhebung des griechischen Embargos gegen Makedonien und der Sanktionen gegen Restjugoslawien kam der Handel zwar allmählich wieder in Schwung, die Lage der Wirtschaft ist aber nach wie vor prekär. Die offizielle Arbeitslosenrate liegt derzeit bei 28 Prozent. Zehntausende Beschäftigte sind seit Monaten ohne Lohn, ein Großteil der Betriebe ist geschlossen, die Privatisierung kommt nicht voran. Das Anfang 1994 gestartete Stabilisierungsprogramm, das den Forderungen des IWF nachkommt, bringt beträchtliche soziale Härten mit sich.

Im Straßenbild sucht man Armut dennoch vergebens. Die Cafés sind gut besucht, die Menschen überwiegend nach westlichem Chic gekleidet. Das Geheimnis liegt zum einen in den Ratenzahlungen, die die meisten Geschäfte auch für Kleidung offerieren, zum anderen in den Überweisungen aus dem Ausland. Makedonien ist bereits seit einem Jahrhundert ein klassisches Auswanderungsland. Nach Kanada und Australien avancierte in den letzten Jahrzehnten vor allem Deutschland zum bevorzugten Ziel.

Auch Emines Mann arbeitet dort. „Schwarz“, wie die junge Mutter von drei Kindern hinzufügt, um zu erklären, weshalb er die Familie nicht nachholt. Politisch, meint sie, habe sich die Situation seit der Unabhängigkeit verbessert. Grund zur Zufriedenheit sieht sie dennoch nicht. „Unser Problem ist, daß es keine Arbeit gibt. Wenn mein Mann kein Geld schicken würde, würden wir kaum zurechtkommen.“

Emine lebt in Tetovo, einer Kreisstadt im Nordwesten des Landes. Frühere jugoslawische Reiseführer loben Tetovo als ein „sympathisches Städtchen“ mit einem „hochmodernen Zentrum“. Heute wirkt die Stadt verdreckt und chaotisch. Gegenüber der Hauptpost künden ein riesiger verwaister Platz mit einem verrotteten Springbrunnen und einige heruntergekommene Plattenbauten vom städtebaulichen Ehrgeiz vergangener Zeiten. Ansonsten beherrschen aufgerissene Straßen, Müllhaufen und bröckelnde Mauern das Bild. Das Flüßchen Pena ist eine Kloake, die Uferböschung eine Müllhalde. Zwischen Bauruinen und verfallenen Wellblechbaracken bieten Straßenhändler ihre Waren an, neben Abfallhaufen, und Bauschutt.

Rund 80 Prozent der Einwohner sind Albaner. Genaue Zahlen liegen nicht vor, da die albanische Bevölkerung die Volkszählung von 1994 boykottierte. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung Makedoniens wird daher nur mit ca. 23 Prozent angegeben. Begründet wurde der Boykottaufruf damit, daß sowohl die im Ausland lebenden Gastarbeiter, als auch jene Tausende illegaler Einwanderer aus Albanien und Kosovo, die sich in den letzten Jahren in Makedonien niedergelassen haben, von der Volkszählung ausgeschlossen bleiben sollten. Auf makedonischer Seite hielt man dagegen, die Albaner wollten nicht, daß ihre tatsächliche Anzahl bekannt werde: Die läge nämlich weit unter den von ihnen angegebenen 30–40 Prozent.

Das Verhältnis der albanischen Minderheit zur Staatsmacht ist keineswegs spannungsfrei. Ursache dafür ist vor allem die Tatsache, daß Makedonien sich als Nationalstaat der Slawomakedonier definiert und allen anderen Volksgruppen nur Minderheitenstatus zugesteht. Albanische Politiker fordern, das Land in eine Föderation aus zwei konstitutiven Völkern umzuwandeln und die mehrheitlich albanisch besiedelten Gebiete Westmakedoniens lokaler Selbstverwaltung zu unterstellen. Die Regierung lehnt das mit Hinweis auf die Gefahr der Sezession ab und unterstellt großalbanische Träume, für die sie vor allem die zugezogenen Kosovoalbaner verantwortlich macht. Nicht zuletzt befürchtet man in Skopje, Madekonien könnte durch eine grenzübergreifende Solidarisierung der Albaner in einen bewaffneten Konflikt mit Serbien gezogen werden.

Das Ausrufen einer albanischen Republik „Ilirida“ zu Beginn des Jahres 1995, die Weigerung, am Nationalfeiertag, die makedonische Fahne zu hissen, die Einführung des Albanischen als alleinige Amtssprache verstärkten das Mißtrauen der Slawomakedonier gegenüber ihren albanischen Landsleuten. So beendeten die Behörden Anfang 1995 die kurze Existenz einer albanischen Universität in Tetovo, deren Lehrkräfte überwiegend aus dem Kosovo stammten, gewaltsam. Die Universität wurde geschlossen.

Muharrems Beliebtheitsgrad ist hoch. Wenn der schlanke Enddreißiger mit der langen Lockenmähne durch die Straßen von Tetovo läuft, muß er immer wieder Grüße erwidern und Hände schütteln. Dabei wechselt er je nach Gesprächspartner mühelos von einer lokalen Sprache in die andere. Muharrem war ein berühmter Fußballspieler. „So ist das nun mal“, sagt der Albaner, „wenn man drei Kinder hat, gibt es eben auch mal Streit. Aber im Grunde leben die verschiedenen Volksgruppen friedlich zusammen.“ Die Probleme, so meint er, kämen von den Politikern aller Seiten. Schuld sei aber vor allem die wirtschaftliche Not. „Wer keine Arbeit hat, ist unzufrieden, und der macht dann seinem Ärger auch schon mal Luft.“ Die Bereitschaft der Bevölkerung, die wirtschaftliche Not zu ertragen, stoße an ihre Grenzen.

Goce, der Reiseleiter, hat die Sache jedenfalls in die eigenen Hände genommen. Er lernt jetzt Japanisch. Der Bus, der gerade den Hafen ansteuert, kommt jedoch wieder nur aus Bulgarien.

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