: Wieder Wümme-Wasser auf die Wiesen
■ Deichverlegung schafft neue Lebensräume im Naturschutzgebiet Wümmewiesen
Der seltene Eisvogel brütet in den steilen Uferabbrüchen der mäandrierenden Wümme, ein Fischotter taucht durch die tiefen, Libellen fliegen über die flachen Bereiche des weitverzweigten Flußlaufs. Im Winter rasten hier Singschwäne und Wildgänse auf ihrem weiten Weg in den Süden. An den Ufern wuchern Schilfe, Weiden und Erlen.
So ähnlich hat das Gebiet der Borgfelder Wümmewiesen vor hundert Jahren ausgesehen, und etwa so soll es auch wieder werden. Seit 1985 arbeitet der „World Wide Fund For Nature“ (WWF) an diesem Naturschutzgroßprojekt. Wie die allermeisten Bäche und Flüsse wurde auch die Wümme begradigt, vertieft und mit Deichen eingefaßt. Durch diese Maßnahmen sollten der Grundwasserspiegel abgesenkt und Überflutungen verhindert werden. Für die intensive Landwirtschaft waren die Wiesen zu feucht, die moorigen Böden mit dem schweren Gerät nicht zu befahren. Das Heu, das im letzten Jahrhundert noch mit Booten eingeholt worden war, sollte schneller und sicherer in die Scheunen gelangen.
Jetzt wird das Gebiet renaturiert. Momentan wird ein flußferner Deich errichtet – bis zu 700 Meter von der Wümme entfernt. Erst wenn dieser sich im Sommer 1997 stabilisiert haben wird, wird der alte Deich am Fluß abgetragen. Dann soll sich das Wasser in dem 40 Hektar großen Gebiet seinen neuen Lauf selbst suchen. Bei Hochwassern wird die Fläche überflutet. Wo die Fließgeschwindigkeit gering ist, wird mitgeführter Sand abgelagert, wo sie groß ist, wird Boden abgetragen. Alles soll sich selbst überlassen bleiben. „Die Natur soll sich ihre Landschaft gestalten“, beschreibt der Projektleiter Gunnar Oertel die Vorgehensweise. Früher habe man die renaturierten Flächen gleich wieder bepflanzt. „Wie schnell sich die Pflanzen ganz von selbst wieder einfinden, haben wir in den letzten Jahren beobachten können“, erläutert der Landschaftsplaner: Einige hundert Meter flußaufwärts wurde bereits 1989 der Deich rückverlegt und ein Nebenarm angelegt. Sechs Hektar renaturierter Fläche werden seitdem vom WWF beobachtet und wissenschaftlich ausgewertet. So wurde 1994 bei einem Hochwasser Sand aus der Lüneburger Heide, dem Quellgebiet der Wümme, abgelagert. Seitdem haben sich Pionierbaumarten, vor allem Weiden und Erlen, an den Ufern ausgebreitet. Die Naturschützer haben einen Eisvogel gesichtet und zahlreiche Insektenarten wie Köcherfliegen und Laufkäfer.
Wenn die Bagger und Baufahrzeuge wieder aus den Wümmewiesen verschwunden sind, der Damm abgetragen ist und das Wasser freie Bahn hat, werden auch auf der größeren Fläche neue Lebensräume für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten entstehen. Wenn die Flächen sich selbst überlassen bleiben, ermöglicht das nicht nur eine natürliche Entwicklung, es ist auch billiger, als wenn noch gepflügt und gepflanzt würde. Über zwölf Millionen Mark kostet das Projekt ohnehin schon, wovon der Bund 9,45, das Land Bremen 1,9 und der WWF 1,26 Millionen tragen. Mehr als acht Millionen gingen davon allein für den Grunderwerb drauf. 275 Hektar Wümmewiesen gehören jetzt der Naturschutz-Organisation. Genug, um dem kleinen Fluß zukünftig noch mehr Raum zu geben. sg
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