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Appetit auf Partykrach

■ HfK-StudentInnen bringen „Staubsaugermänner“ und Metallpilze im Kunstlabor zum Kochen– heute große Abschlußfete in der Dechanatstraße

Tatort Kunstlabor. Die Räume linker Hand in der Bremer Hochschule für Künste (HfK) überzeugen derzeit durch kreatives Chaos. Auf dem Boden stehen Kisten mit Elektronikschrott, Widerständen, Kabeln, Lüsterklemmen. Daneben Gummirollen, eine Zeitschaltuhr, Doppelstecker, Sektflaschen, Gerümpel vom Schrottplatz. Zwischen den Computern toben atemlos zwei Hunde, die aus irgendwelchen Gründen nicht zueinander dürfen. Hier haben zwölf StudentInnen aus den Studiengängen Malerei, Grafik, Neue Medien und Musik zweieinhalb Wochen in einem Produktionsworkshop zum Thema Klänge und Kunst geschuftet. Hier wird von „SEM“ (Sound Electronic Mechanic) geredet. Heute abend wird das für Bremen ungewöhnliche Medienprojekt in der Kunsthochschule mit einer kleinen Leistungsschau und einer großen Party abgeschlossen.

Der Innenhof mutiert derweil zum Klanggarten. Auf einen abgehackten Baum wird ein „Soundpilz“ gepfropft, der wunderliche Geräusche von sich gibt. Kabel versorgen den Metallpilz mit Klängen von Synthesizern und Computern. Vor dem Café Kunst sollen sich ein obskurer „Staubsaugermann“ und ein Tisch bewegen – mediale Kunstwerke ganz im Sinne von Jean Tinguelys kibernetischen Apparaturen oder von zeitgenössischen Programmierern, Bastlern, Mechanikern und Gestaltern wie Nicolas Baginsky, Jim Whiting und der Gruppe „SRL“ aus San Francisco.

Ein klanggesteuerter „Stepper“ soll seine Hubmagnet-Beinchen einzeln bewegen können und wie ein Stepptänzer hüpfen, hat Work- shop-Organisator und Student Stefan Doepner gestern verraten. Eine „Soundkanone“ wird über eine Lichtschranke animiert. In einem Einkaufswagen docken die Kunst- studentInnen einen Computer ans Internet und ermöglichen den HfK-lern den langersehnten Zugang zum internationalen Netz.

Also alles paletti an der Akademie? Wo Dozenten und StudentInnen mit so viel Energie von früh morgens bis drei Uhr nachts Roboterkunst und kybernetische Bildhauerarbeiten erdacht und komponiert, gelötet und gepuzzelt haben, müßte doch alles in Ordnung sein, sollte man meinen. Doch ohne Eigeninitiative würde hier schon lange nichts mehr laufen, meint Stefan Doepner, der in der Berufungskommission „Neue Medien“ sitzt und mitentscheidet.

Seit drei Jahren seien die 20 StudentInnen der Filmklasse, zu der man auch den Bereich der Neuen Medien zählen kann, kopflos, berichtet der 29jährige. Damals war der zuständige Prof. Gert Dahlmann erkrankt, später pensioniert worden. Der hätte die „Neuen Medien“ zwar angeschoben, eine Lobby aufgebaut und prominente Gastdozenten wie Rolf Julius, Nicolas Baginsky und Stephen Beck rangeholt. Doch beim Prinzip der billigen Notlösung mit Dozenten auf Zeit ist es bedauerlicherweise bis heute geblieben.

Zwar hätten sich insgesamt 30 Leute für die beiden vakanten Professorenstellen in den Bereichen Neue Medien und Experimentalfilm beworben, sagt Doepner. Allerdings vergebens. „Bisher sind alle Vorschläge an den inneren Filzstrukturen gescheitert.“ Dabei spielen die Zukunftsmedien in Bremen seit der letzten documenta durchaus eine Rolle. Damals hatten Leute der Filmklasse drei Wochen lang „interaktives Kunstfernsehen“ life nach Kassel geschickt, das dann über 3 SAT gesendet worden war. Seitdem werden in der Dechanatstraße Drähte gelötet, interaktive Schallungen entworfen, technische Musik produziert.

Ungeklärte Fronten bedeuten knappe Mittel. Mit gerade mal 7000 Mark mußten die StudentInnen während ihres Juli-Workshops auskommen. Die beiden Dozenten aus Düsseldorf und Hamburg wurden miserabel abgespeist. Die Hälfte der Computer, Verstärker, ein Großteil des Handwerkzeugs und der Musikinstrumente sind von zuhause mitgebracht worden.

Im Gegensatz zu selbst organisierten Mediengruppen wie „Interflux“ in Berlin und „Halboffen“ in Hamburg steht den BremerInnen das Wasser bis zum Hals. Im nächsten Semester müßten mindestens doppelt so viele Gelder fließen, sagt Doepner, damit sich überhaupt noch etwas bewegt. Gerade deswegen engagiert sich der Student, der ganz klassisch mit Druckgrafik begonnen hatte, für die Medienkunst: „An der Bremer Hochschule ist noch vieles in den 70er und 80er Jahren steckengeblieben. Wenn ich hier schon fünf Jahre abhänge, will ich auch was verändern.“

Doch das Engagement einzelner reicht nicht. Studentin Katrin Orth, 25, bekommt allmählich kalte Füße. „Seit Jahren warte ich darauf, von einem Prof künstlerisch und technisch auf den Beruf als Medienkünstlerin vorbereitet zu werden.“ Schließlich werde doch die Malklasse auch ordentlich ausgebildet. Und den Workshop findet sie gut, aber zu kurz. Als sich die 25jährige zusammen mit Musikstudent Ingo Isensee endlich in Analog-Synthesizer, Sampler, Keyboard und Sequenzer eingefuchst hat, ist der Kurs zu Ende.

Studentin Cathrin Ley weiß seit dem Workshop wenigstens, daß sie die restlichen Semester bei den Neuen Medien bleiben will. Hier seien die Ausdrucksmittel vielfältig und sehr interpretativ, sagt die 28jährige. „Die Malerei ist so eine einsame Geschichte – ganz anders als das Wechselspiel zwischen Eigen- und Gruppendynamik bei den intermedialen Kunstwerken.“ Sabine Komm

Das Abschlußfest des Work- shops SEM startet heute nachmittag im Innenhof der HfK, Dechanatstraße, um 16 Uhr mit der Ausstellung von Medienkunst. Ab 20 Uhr ist eine Triphop-Ambient-House and Newsic Party geplant. Auf dem Programm stehen die DJs Moulinex und Lima aus Hamburg und DJ Jim Knopf aus Bremen.

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