: Im Fahndungsraster: die Domestoshose
■ Bremer Polizei erteilt auswärtigen Punks Platzverweise / Einsatzkräfte für Hannover bleiben hier
Bremens Punkerinnen und Punker fühlen sich nicht erst seit gestern von der Polizei schlecht behandelt. Aber gestern ist das Stimmungsbarometer der Bunthaarigen erneut unter den Nullpunkt gesunken. Im Punkerjargon: „Das Schweinesystem schlägt wieder zu.“ Genauer: es greift die polizeiliche Anordnung, daß Personen, die erkennbar der „Punk-Szene“ zuzuordnen sind, aus Gründen der Gefahrenabwehr überprüft werden. Hintergrund: seit Wochen kursieren Aufrufe per Flugblatt und Internet, daß Punks auf Nachbarstädte Hannovers ausweichen sollen, wenn sie zum angekündigten Chaos-Treffen am ersten Augustwochenende nicht nach Hannover reinkommen. Die ursprünglich für Hannover versprochene Hundertschaft zur Unterstützung aus Bremen wird nun vorsorglich in der Hansestadt zurückbehalten. Auswärtige Unterstützung für Bremens Polizei sei allerdings nicht angefordert, bestätigte gestern der Sprecher der Innenbehörde, Stefan Luft.
Die „Gefahrenabwehr“ zeitigt unterdessen sehr praktische Konsequenzen: bereits vorgestern wurden mehrere Dutzend Punks überprüft. Darunter auch ehemalige Bremer, die sich einfach nur einen Schoppen im Ostertor genehmigen wollten. Einem jungen Mann, der nun die einstweilige Verfügung gegen seinen Platzverweis erwägt, bescheinigt die Anwältin, „daß er nicht wie ein Punk aussieht.“ Ohnehin wirft das polizeiliche Vorgehen für Marion Küstner Fragen auf: „Der Gefahrentatbestand muß dem Einzelnen nachgewiesen werden“, sagt die Rechtsanwältin. Er müsse außerdem mit „hinreichender Wahrscheinlichkeit“ begründet werden. Sehr fraglich sei, ob dafür die bunten Haare der BegleiterInnen ihres Mandanten ausreichten.
Für die BegleiterInnen hieß es nach der polizeilichen Überprüfung übrigens ohne Ausnahme Abflug – ebenso wie seit gestern für alle übrigen bunten Auswärtigen: Wer keinen Wohnsitz in Bremen nachweisen kann, dem wird eine Platzverweisung erteilt, die bis einschließlich Sonntag, 4. August, 24 Uhr gilt. Domestoshose, Springerstiefel und Irokesenschnitt, blau, weiß oder grün sind, ins Fadenkreuz der polizeilichen Ermittler geraten: „erkennbar der 'Punk-Szene' zuzuordnen“ (Polizeitext).
Streetworker vom „Verein akzeptierende Jugendarbeit“ sind über diese Regelung eher besorgt – und das nicht nur, weil sie Jugendliche, „die eigentlich ganz viel in der Birne haben“ auf reine Äußerlichkeiten festlegt. Die SozialarbeiterInnen meinen auch, daß die groben Maßnahmen „der Bremer Kiddie-Punk-Szene“ nicht gerecht werden. „Den meisten hier wäre Hannover doch schon zu anstrengend“, sagt eine Street-Workerin. „Die wollten einfach hierbleiben und sich mit Freunden treffen. Viele sind sowieso minderjährig. Die fühlen sich jetzt ungerecht behandelt, weil ihre Freunde sie mitten in der schönsten Ferienzeit nicht besuchen können.“ Auch Mütter von jungen Punks im Ostertor sind besorgt: „Seit Ostern wurde mein 17jähriger Sohn mehrmals von der Polizei überprüft“, berichtet eine Mutter, die lieber anonym bleiben will. „Ich habe deswegen jetzt an den Polizeipräsidenten geschrieben.“ Das sei erniedrigend. Auf diese Art werde unnötig schlechte Stimmung unter Bremer Punks erzeugt. „Die bekommen doch das Gefühl, jeder Tourist ist in der Heimatstadt willkommener als sie.“
Ein weiteres Thema bewegte gestern Mütter und PädagogInnen – die ohne weiteres zugeben, „daß es auch unter Punks Idioten gibt, gegen die man vorgehen muß“. Ihre Sorge: Wenn die Heß-Demo erlaubt wird, während Punker aus der Stadt geworfen werden, „geht das schief“. Dann könne man selbst für die überwiegend friedliebenden Bremer Punker nicht garantieren. Seit letzter Woche nämlich gibt es in Hannover und Bremen Aufrufe, den (gestern nachmittag verbotenen) Heß-Gedenkmarsch zu verhindern: „Wir werden diesen Scheiss nicht dulden“, steht auf weißen Schnellkopien. Für Auswärtige dürfte das Eingreifen allerdings schwierig werden. Zwar wurden bis Redaktionsschluß gestern keine weiteren Platzverweise bekannt und die bunten Punker hatten sich spürbar aus der Stadt zurückgezogen. Doch während sie mit Platzverweis, ersatzweise mit zweitägiger Haft rechnen müssen, droht anreisenden Neonazis vorerst keine entsprechende Maßnahme. „Die sind im Platzverbot noch nicht enthalten“, hieß es gestern bei der Polizei. „Wir werden jedoch lageangepaßt reagieren“.
Befragt nach ihren Reaktionen darauf hüllen die meisten Bremer Punks sich vorerst in frustriertes Schulterzucken. Oder zeigen ihren schwarzen Lederrücken: „Ich kann gar nicht so viel essen wie ich kotzen könnte.“ ede
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen