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Barrikaden im Zwergenland

■ Baubehörde rückt zum zweiten kleinen Lauschangriff im Kleingartengebiet Waller Fleet anKleingärtner bilden Menschen-Barrikaden

Aufständische Kleingärtner ließen gestern morgen im idyllischen Kleingartengebiet den staubigen Sandboden erbeben. Zwei ernste Behördenvertreter wollten gestern morgen um 9 Uhr ihre geplante Fragebogenaktion im Chrysanthemenweg fortsetzen. Doch über hundert Parzellisten scharrten mit ihren Füßen im Sand und verstellten mit einer geschlossenen Menschenkette den Weg. Baubehörde und aufgebrachte Kleingärtner standen sich unversöhnlich gegenüber - um ein Haar wäre das ungewöhnliche Duell eskaliert. Vertretern der Bürgerinitiativen ist es zu verdanken, daß sie die aufständische Meute im Zaum hielten.

Die Baubehörde hatte gestern mit der zweiten Befragung bei einer Kleingärtnerin im Chrysanthemenweg beginnen wollen. Denn Bausenator Schulte will das Kleingartengebiet am Waller Fleet mit seinen rund 1.000 Parzellen nach illegalen Bewohnern und Bauwerken durchkämmen - Zwangsräumungen und die Abrißbirne drohen. Jahrelang hatte die Behörde die „Illegalität“ stillschweigend geduldet. Doch damit müsse jetzt Schluß sein. Die Einsicht kommt spät: Bereits 1974 hatte das Oberverwaltungsgericht den Bausenator zu diesem notwendigen Schritt aufgefordert. Doch immer wieder hatte die Baubehörde um das „problematische Gebiet“ einen großen Bogen gemacht. Plötzlich fürchtet das Bauordnungsamt um die öffentliche Sicherheit. Wenn plötzlich Häuser einstürzen oder brennen, könnte das Amt dafür verantwortlich gemacht werden. Offenbar hatte Bausenator Schulte die Widerstandswelle der Waller Parzellisten schon immer befürchtet - die Angst scheint berechtigt.

Die „Interessengemeinschaft der Parzellenbewohner und Grundstückseigentümer“ hat der Behörde den offenen Kampf angesagt. Immer wieder hatte Walter Polz von der Interessengemeinschaft Flugblätter verteilt und zum Widerstand gegen die Sanierungspläne aufgerufen. Der Zorn steht ihm ins Gesicht geschrieben: „Hier wohnen alte Leute, wenn ihr die ausfragt, kriegen die doch einen Schlaganfall“, herrscht er die bedröppelte Behördenfrau an. „Die Baubehörde will doch nur alles abreißen und dann ein Gewerbegebiet draus machen“, so Polz mit haßerfüllter Stimme. Bedrohlich nahe stehen sich die beiden Streithähne im Chrysanthemenweg gegenüber. „Die habe ich erstmal zusammengefaltet.“ Die Behördenfrau verliert bei solch „aufblühenden Emotionen“ fast die Sprache. Vor allem die Kaisenbewohner, die Schultes Kleingartenerlaß gar nicht betreffen soll, haben es auf sie abgesehen. Bedrohlich schwenken sie ihre Spazierstöcke. Der Schock ihrer Vertreibung aus der Heimat sitzt tief. Immer lauter schreien sie, immer näher rücken sie der Mitarbeiterin auf den Leib. Die Luft wird heiß. Kurz bevor die Kampfsituation eskaliert, schreiten die jüngeren Vertreter der Bürgerinitiative „Gartenwohnkultur“ ein. Freundlich sucht Martina Meyerdierks das Gespräch. „Wir wollen alle bleiben, die Häuser dürfen nicht abgerissen werden“, fordert die Bürgervertreterin, während aufgeregte Kleingärtner hinter ihr immer noch wild diskutieren. Für das Waller Fleetgebiet müsse eine Ausnahmeregelung her.

Heute setzen sich beide Parteien im Bauressort an einen Tisch. Doch ob Meyerdierks mit ihren Forderungen durchkommen wird, bleibt fraglich: Der Bausenator setzt weiter auf Konfrontation: Der Zutritt zu den Parzellen soll jetzt gerichtlich durchgesetzt werden. kat

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