: Bloß kein Anglerpack
■ Trockenfischen und meterlange Beute: Bremens erster und einziger Fliegenfischerstammtisch
„Ja, das Handgelenk locker lassen, locker! – Schnur geben, gut – und jetzt peilst Du das Blatt da vorne an – und werfen!“ Die dünne Rute schwingt ästhetisch nicht so ganz einwandfrei nach vorne, die Schnur gehorcht eher der Schwerkraft als dem Willen des Werfers und kräuselt zu Boden, und dieses Blatt da vorne liegt doch noch irgendwie ziemlich weit weg. „Na ja, muß man halt üben. War aber schon nicht schlecht.“ Der Mann war mal Lehrer, das merkt man. Merkwürdige Riten spielen sich ab auf der Weserwiese vor dem Bürgerhaus. Erwachsene Menschen werfen Angelschnüre aus – aber nicht etwa ins trübe Flußwasser, sondern auf den Rasen! „Was wir schon für Sprüche gehört haben“, seufzt Rolf Baginski und kurbelt die Schnur vom mißglückten Reporter-Versuch auf die Rolle. Aber Baginski ist das Unverständnis gewohnt. Er ist der spiritus rector einer verschworenen Gruppe von Menschen mit abwegigen Obsessionen. Einmal im Monat trifft sich der erste und einzige Bremer Fliegenfischer-Stammtisch im Bürgerhaus Weserterrassen. „Ganz normale Menschen“, versichert Baginski. „Bis auf das Fliegenfischen.“ Denn das scheint süchtig zu machen.
Um gleich mit den Vorurteilen aufzuräumen: Erstens fischen Fliegenfischer nicht mit Fliegen, zweitens fischen Fliegenfischer keine fliegenden Fische, mit Fliegenfangen haben sie schon gar nichts zu tun, nicht mal mit Fischen, und überhaupt ist alles anders als man denkt. Nämlich so: Ein Metallkasten im Pralinenschachtelformat, das Interieur in unendlich viele Fächer unterteilt, darin das Allerheiligste, die Fliegen. Ekelanfällige können sich beruhigen, da krabbelt gar nichts. Fein säuberlich sortiert liegen haarfeine, aus Federn (extra gezüchtete Hühner) gebundene Püschel, manche nur millimetergroß, andere in beachtlichem Daumennagelformat, manche einfarbig, dann wieder welche mit zartem Muster, daneben flügellose Würmchen. Kleine Kunstwerke, mit denen die Fische überlistet werden sollen. Und allen gemein ist die Gemeinheit, die wir schon ahnen. Ein Haken.
Da soll sich dann die Forelle dranhängen oder der Lachs. Insofern unterscheidet den Fliegenfischer nichts vom gemeinen Angler. Aaaaber: „Würmer baden kann jeder, Fliegenfischen ist eine Kunst“, wird jede Gemeinsamkeit vom Stammtisch gewischt. „Also ich will mit dem Anglerpack nichts zu tun haben.“ Schippenweise Futter in den Teich schmeißen, Würmer auf Haken spießen, drei Angeln ins Wasser hängen, Butterbrot aus der Kühltasche holen, auf dem Campingstuhl hocken und warten – todlangweilig. Kann jeder Depp. Aber der Fliegenfischer dagegen, und die Fliegenfischerin erst. Die perfekte Symbiose von Kunst, Jagd und Biologie. Das will gelernt sein.
Ein meditatives Unternehmen. Allein geht der Fischer am Ufer entlang und beobachtet. Manchmal stundenlang. Kreise auf der Wasseroberfläche? Steigen sie, die Forellen? Ist da eine Sandbank, die Kinderstube, wo die Fische reichlich stehen? Der Angler wartet, daß der Fisch angeschwommen kommt, der Fliegenfischer geht dem Fisch hinterher. Und dann, wenn er die Beute gesehen hat, dann heißt es: Handgelenk locker lassen, Schnur geben, zielen, werfen. Das ist es, was die Fliegenfischer immer wieder üben; zielgenau über 15, 20, 25 Meter den Köder plazieren. Wie eine Peitsche, aber unendlich viel sanfter, wird die Rute vor- und zurückgeschwungen; das Gewicht der Schnur (nicht der Fliege, die ist zu leicht) zieht immer mehr Leine; die surrt hoch über dem Wasser, bis dann mit dem letzten Schwung der Köder punktgenau landet. Wenn alles gut geht. Wenn sich die Fliege nicht in einem Baum verhakt, was sie gerne tut. Fischerpech. Dann muß der Fisch nur noch anbeißen. Was er oft genug nicht tut. Erst recht Fischerpech.
Aber vor das Fliegenfischen hat der Herrgott die Biologie gesetzt und die Frage, welcher Püschel oder Wurm an die Schnur gebunden werden will. Ist der Köder falsch, denkt der Fisch nicht ans Anbeißen. „Ohne Vorkenntnisse schafft man das nie“, sagt Baginski. Die Gewässergüte will bestimmt werden, und vor allem geht es um die Frage, welche Insekten sich in welchem Stadium ihres meist kurzen Lebens im und am Wasser bewegen. Lebt beispielsweise die Eintagsfliege noch als Wurm am Grund, dann wird mit der Eintagsfliegengrundwurmkopie gefischt. Fliegt dagegen die Eintagsfliege schon liebestoll und todestrunken über der Wasseroberfläche, dann ist deren behaktes Double dran. So ungefähr, nur in Wahrheit ist alles noch viel viel komplizierter. Ein Fliegenfischer ist ohne Insektenkunde verloren.
Und dann kommt es noch auf die Jahreszeit an, die Tageszeit und damit zusammenhängend die Wassertemperatur – „und im Winter, wenn man nicht fischen kann, werden die Fliegen gebunden“.
Die einen gehen mit dünnen Ruten „auf Forelle“, gerne auch in Dänemark, weil es hierzulande kaum noch ordentlich saubere Fließgewässer gibt. Und diesseits der Alpen haben ganze Schwärme von Kormoranen die Flüßchen leergefressen. Die anderen gehen „auf Lachs“, mit der langen Rute, beid- armig zu bedienen, mit einer wesentlich dickeren Schnur und dem Bewußtsein, schonmal gegen einen Fisch verlieren zu können, kräftemäßig. Aber verlieren kann man sowieso, schlauheitsmäßig. „Manchmal geht man stunden-, manchmal tagelang, ohne daß man was fängt. Manchmal verarschen einen die Fische auch.“ Aber wenn dann das Tier am Haken gezappelt hat – „dann lügen wir wie alle anderen auch“, sagt Baginski. „Halber Meter und so.“
Fliegenfischen macht süchtig, da ist sich die versammelte Stammtischrunde einig. Manch einer fährt den Fischen „pro Jahr 35.000 Kilometer hinterher“, oder „6.000 Meilen“, in den USA, dem gelobten Fliegenfischerland.
Und dabei kann man ordentlich Geld loswerden. Manches Gewässer gehört einem Hotel, da kostet ein Tag Fischen leicht mal 150 Mark.
Und wer es ganz exklusiv haben will, der fährt nach Island, wo die Tageskarte 1.000 Dollar kostet. Oder, noch exklusiver, fliegt mit dem Hubschrauber in die entlegensten Waldgebiete Kamtschatkas. Für 12.000 Mark pro Woche ist man dabei. Aber mit der Kategorie Großwildjäger will die Bremer Runde nun gar nichts zu tun haben, wie gesagt: „Ganz normale Leute, bis auf das Fliegenfischen. Man trifft ganz viele Spinner, aber selten mal ein Arschloch.“
Jochen Grabler
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