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Mit „Ilona“ zum Kölner Dom

Eine Stimme, ein Stau und ein gemeinsames Ziel: Wie ein digitaler Auto-Autopilot den mobilen Menschen satellitengesteuert durchs Straßennetz leitet  ■ Von Bernd Müllender

„Die Route wird berechnet.“ Die Stimme aus dem Lautsprecher ist freundlich, aber bestimmt, digital emotionslos und weiblich. Ihr Name: „Ilona“. Sie ist die Stimme des „Travel Pilot“-Navigationssystems. Ein paar Klicks, und das Rechenhirn arbeitet mit dem gespeicherten Straßennetz seine Empfehlung aus. Satellitengesteuert, kombiniert mit Sensoren an den Wagenrädern und einem elektronischen Kompaß im Bordrechner, berechnet „die autonome Zielführung“ jeden Weg innerhalb Deutschlands. Sekunden später meldet sich Ilona erneut: „Die Route ist berechnet.“

„Autofahren mit dem High-Tech- Pfadfinder“, der „Auswege aus der Orientierungslosigkeit“ biete, preist die Werbung. Nie mehr Atlanten wälzen, sich in Falk-Plänen verheddern, mit BeifahrerInnen streiten, gar Fremde nach dem Weg fragen müssen. Und sicherer ist es: „Immer wieder“, warnt Egon Hoegen, die legendäre Stimme aus dem „7. Sinn“, in einem Werbevideo, „passieren Unfälle, weil Autofahrer in Stadtpläne gucken!“

Der moderne Mensch läßt sich führen und fahren, in Bus, Bahn und Taxi. Und nun auch im eigenen Liebling auf vier Rädern. Rechnergesteuert und „mit der charmanten Frauenstimme“. Die ertönt jetzt monotonett: „Nach 100 Metern links abbiegen, danach sofort rechts abbiegen.“ Unsere Teststrecke verläuft von der Aachener City zum Kölner Dom. Im Display leuchten die Daten: 63 Kilometer Luftlinie, 78,4 Kilometer Wegstrecke. Geschätzte Fahrzeit: 57 Minuten.

Stets gibt es eine Vorwarnung, etwa „In 300 Metern links abbiegen.“ Dann, kurz vor der Kreuzung: „Jetzt links abbiegen!“ Dabei wechselt das Display von Gelb nach Rot und blinkt. Fährt man dreisterweise anders als berechnet, wird Ilona nicht böse. Willig läßt sie neu rechnen und gibt engelsgleich eine geänderte Empfehlung: „In 200 Metern rechts abbiegen.“ Souverän geht es durch komplizierte Abbiegekombinationen in der engen Aachener Innenstadt. Vor der Fußgängerzone warnt Ilona: „Das Ziel liegt an einer beschränkt befahrbaren Route.“ Die Bedienungsanleitung sichert Ilonas Arbeit überdies juristisch ab: „Sollte eine Fahrempfehlung im Widerspruch zur gültigen Straßenverkehrsordnung stehen, so gilt immer die StVO.“

Ilona ist angehalten, einen möglichst direkt zu den großen Ausfallstraßen zu führen. Das ist anwohnerfreundlich, kann aber auch zu absurden Umwegen führen. Rechner sind halt logisch statt clever. Die empfohlene Route zur Autobahnauffahrt ist ungewöhnlich, aber nicht dumm. „An der zweiten Straße rechts abbiegen.“ Gemein war es, an einer Kreuzung einmal das empfohlene Rechtsabbiegen zu ignorieren und geradeaus in einen Tunnel zu fahren, wo Ilona, das Dummerchen, mitten in der engen Röhre sagt: „Jetzt rechts abbiegen.“

Perfekt kann eine Simulation der Wirklichkeit nie sein. Folglich macht eine Navigationstechnologie auch Fehler. Bei schnellen Rechts-links-Kombination verwechselt der Rechner schon mal lechts und rinks. Einmal kennt das Programm (klarer Softwaremangel) einen Fußweg nicht, der autoversperrend eine Zielstraße in der Mitte teilt. Das führt zu nerviger Herumkutschiererei – hätte aber mit einem Stadtplan genauso passieren können.

Autobahnauffahrt nach Köln, ein Kreisverkehr. Ich drehe zwei Ehrenrunden, das verstört Ilona sehr. Der Rechner kommt kaum nach. Auf der Autobahn ist alles wieder im Lot: „Dem Straßenverlauf sehr lange folgen.“ Das Display gibt stets an, auf welcher Straße man ist, wie die Autobahn heißt, welche Abfahrt man gerade passiert. Ilona selbst mag Autobahnfahrten, sie ruht jetzt.

Nach gut zehn Kilometern entspannten Fahrens: Stau. Rechenhirn und Satelliten wissen von nichts. Eigenmächtig fahre ich ab. Sofort ist Ilona aufgewacht: „Wenn möglich, bitte wenden.“ Beleidigt, weil unvermittelt geweckt, will sie mich in den Stau zurückschicken. Jetzt muß man zunächst allein weiterkommen und per konventioneller Autokarte eine Parallelstrecke suchen. Ilona schickt immer noch zurück. Dann bemerkt der Rechner des Fahrers fortgesetzte Renitenz und schlägt eine andere Route vor, wieder – Computer sind doof – auf die gleiche Stau-Autobahn, nur eine Auffahrt weiter. Erst nach ein paar Kilometern gibt er eine andere Autobahn über Mönchengladbach an. Aus den geschätzten 40 Restminuten werden flugs 75.

Ich locke meine digitale Dame und ihren Rechenknecht ins nahe gelegene Braunkohlegebiet, wo ständig Straßen weggegraben oder gesperrt werden. Ob mich Ilona charmant ins kilometerweite Loch stürzen läßt? Das System hat vorgesorgt: Viele Straßen sind erst gar nicht mehr registriert („Sie befinden sich auf einer nichtdigitalisierten Straße“), etliche Dörfer nicht mehr einprogrammiert. Das spart den Machern des Programms Kleinarbeit, wenn jedes halbe Jahr eine neue Fassung erscheint.

Zurück auf die Autobahn. „Dem Straßenverlauf sehr lange folgen.“ Auf zehn Meter genau arbeitet die Navigation. Auch an der Grenze. Kaum waren wir probehalber tags zuvor auf niederländisches Staatsgebiet gerollt, wurde Ilona sprachlos, und das Display gab kund: „Abseits der Straße“. Auf dem Rückweg erwachte die emsige Ilona schon einen halben Kilometer vor der Grenze: „Dem Straßenverlauf weiter folgen.“ Dann aber glaubte sich der Rechner bei Eintritt ins digitalierte Gebiet zunächst auf einer falschen Straße, ehe er neu rechnete und wieder im Takt war. Ärgerlich wird die Beschränkung auf Deutschland, wenn Ilona einen von Aachen nach Trier über Köln schickt, statt, schneller und kürzer, über die Ardennen-Autobahn. Aber Belgien ist eben auch „abseits der Straße“. Demnächst soll eine Benelux-CD erscheinen.

Etwas Wichtiges fehlt Merians Reise-Pfadfinder: Umfängliche Wegweiser zu anderen Verkehrsmitteln. Einprogrammiert sind nur einige Park-&-Ride-Plätze und einzelne U- oder S-Bahn-Stationen. Selbst Bahnhöfe fehlen bis auf den jeweiligen Hauptbahnhof („Bf Köln“). Dabei sehen fortschrittliche VerkehrsplanerInnen gerade in der Vernetzung von Individual- und öffentlichem Verkehr eine Chance gegen den Autoinfarkt. Elektronische Helfer wie Merian Scout bieten fast unbegrenzten Speicherplatz und somit alle Chancen, intelligente Kombinationen zu finden. Aber das ginge auf Kosten der leichten Bedienbarkeit – fürs Auto. Deshalb „führt es zu weit“ alle Wege zu Alternativverkehrsmitteln aufzunehmen, sagt der Merian-Redaktionschef, „jedenfalls heute noch“.

Dennoch: Verglichen mit anderen elektronischen Helfern scheint die Merian-Luxusversion komfortabel. Anders etwa als die CD- Rom „60 Städte von Deutschland“ (Verlag City Maps), die per Notebook läuft und ohne Satelliten. Nach einem Testbericht der Aachener Nachrichten ein Machwerk realsatirischer Willkür: Da fehlt in Aachen der Dom ebenso wie Klinikum, das Rathaus, Theater und sogar der Bahnhof. Bahnstrecken gibt's, aber die sind als U-Bahn-Strecken ausgewiesen, der Tierpark hat das gleiche Logo wie eine Kirche. Lebensgefährlich wird's, notierte das Blatt, wenn man innerstädtische Routenvorschläge befolgt – per Auto wohlgemerkt: „Schwungvoll durch die Fußgängerzone quer über den Bürgersteig (...) und durch üppigstes Strauchwerk in die Einbahnstraße.“

Mittlerweile haben wir Köln erreicht. „In 2 Kilometern rechts abbiegen.“ Abfahrt Köln-Klettenberg. Passantenblicke folgen dem Gefährt an jeder Kreuzung. Der fabrikneue Vorführwagen VW Sharan nennt sich „Multi Media Mobil“ und protzt mit der Aufschrift: „Ich weiß immer, wo es langgeht.“ Manchmal, auf dem Rastplatz oder beim Tanken, fragte auch einer (nie eine) – immerhin noch den Fahrer und nicht den schlauen Wagen selbst. Und alle staunten. „Toll.“

Neben der Navigationstechnologie mit koffergroßem Bordrechner hat mein Multi Media Mobil eine Fernsehanlage mit zwei Monitoren, Videoausrüstung, eine Musikanlage mit allem Schnickschnack, Stoßstangenkamera (zum Einparken hinten) etc. etc. Die Klimaanlage folgt in Kürze. Das ist endgültig kein motorisiertes Hilfsmittel mehr zur Fahrt von A nach B, sondern ein rollendes High- Tech-Wohnzimmer. Und es liegt im Trend: Ein Aachener Geschäftsmann antwortete im heißen Sommer 1995 auf die Frage, was er gegen die Hitze tue, er setze sich in seinen Wagen, schalte die Klimaanlage auf Höchststufe und fahre eine erfrischende Stunde kreuz und quer durch die Stadt.

Gut 3.000 AutomobilistInnen lassen sich hierzulande schon vom Satelliten navigieren. In zehn Jahren, hoffen die Produzenten, soll bereits jeder fünfte Wagen mit der Dame Ilona (oder mit „Carin“, dem Konkurrenzprodukt von Philips) bestückt sein. BMW verkauft seine Dinoreihe heute schon zu 40 Prozent mit Travel Pilot. Alles inklusive (der Einbau des Bordcomputers allein dauert zwei Tage) kostet der Spaß 8.500 Mark.

Die letzten Straßen durch die Kölner Innenstadt. 103mal hat Ilona sanftstimmig den Weg gewiesen, präzise, unermüdlich. Zeit, den ergänzenden „elektronischen Copiloten“ zu Rate zu ziehen, der, laut Gräfe und Unzer Verlag „umfassende Reiseinformationen“ über den jeweiligen Zielort liefert. Angepriesenes Beispiel: Man ist in einer fremden Stadt und hat Appetit auf italienische Küche. Ein paar Klicks, und schon wird die Route zum nächsten Pizza-Ofen berechnet. 17.000 Adressen sind deutschlandweit eingespeichert. Das klingt viel, ist aber wenig. Für Köln sind ganze fünf Museen und schlappe sieben Kirchen einprogrammiert.

Und die „umfassenden Informationen aus der Merian Reisedatenbank“ über den Kölner Dom sehen so aus: „Das 157 Meter hohe Meisterwerk der Gotik ist eine der größten Kathedralen Europas. Adresse: Am Domhof. Tel.: –. Fax: –.“ Und da ragt er auch schon – aber Ilona ist blind und schickt uns noch einmal rechts um die Ecke. Hintereingang. Die letzte Information klingt wie ein Triumph: „Sie haben das Ziel erreicht.“ Und im Display erscheint, wie bei der Formel 1, eine karierte Zielflagge.

Auf dem Rückweg stellt der taz- Tester Ilona einfach ab. Das geht. Und wie durch ein Wunder findet der Wagen auch ohne die elektronische Copilotin sein Ziel. Sogar die Haustür und nicht den Hinterhof.

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