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Zwickau als Müll-Modell

■ 3.500 Haushalte entsorgen genau abgemessen mit Chipkarte in die Tonne. Interessenten für die überwachte Abfallbeseitigung finden sich weltweit

Zwickau (taz) – Elektronik peppt in einem Modellversuch in Sachsen nun auch Mülltonnen auf: Chipkarte in das Lesegerät der Tonne einführen, die Klappe öffnet sich, Müllbeutel rein, Klappe zu, Chipkarte mitnehmen. Zehn Liter Haushaltsmüll kosten 30 Pfennig. Abbuchung und Guthaben werden auf einem Display angezeigt, neue Karten verkauft der Laden nebenan. 3.500 Zwickauer Haushalte entsorgen in diesen Tagen ihren Kehricht nicht mehr eimerweise in den Containerschlund, sondern Beutel für Beutel über eine der 68 neuen Schleusen, und dafür bezahlen sie auch nur, was ihnen zusteht. Die ersten Chipkarten hat die Stadtverwaltung für diesen Modellversuch verschenkt.

Seit die Zwickauer Werkzeug- und Sondermaschinenbau GmbH (Wesoma) ihre Schleuse auf der Entsorga Köln, Deutschlands größter Abfallwirtschafts-Messe, präsentiert hat, stapeln sich in der Geschäftsführung die Visitenkarten. Rund 300 Interessenten „zwischen Trondheim, Litauen und Australien“ zählte Prokurist Klaus Kaden bis zum Beginn des Modellversuches: Campingplatzbetreiber, Hafenkapitäne, Bahnhofsmanager und Kommunen. Alle haben sie anderer Leute Abfälle am Hals und das Dilemma, die Gebühren nicht gerecht berechnen zu können. Die Trabi-Stadt erlebt einen Mülltourismus der feinen Art.

Bisher wird in Zwickau die Müllgebühr nach Quadratmetern Wohnfläche und Anzahl der Personen berechnet. Hausbesitzer zahlen an die private Entsorgungsfirma für jede volle Tonne, diese Kosten werden auf die MieterInnen „umgelegt“. Manche Oma im Elfgeschosser fühlt sich ungerecht behandelt, wenn sie für ihr bißchen Abfall 1.000 Mark im Jahr blechen soll. „Einer bezahlt für den Müll des anderen“, beschreibt Umwelt- bürgermeister Jürgen Soltau die Praxis nicht nur in seiner Kommune. „Unter solchen Verhältnissen wird natürlich nicht gespart und sortiert.“

Mitarbeiter des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) haben in den Mülltonnen der InnenstadtbewohnerInnen gewühlt: 56 Prozent des „Restmülls“ gehörten eigentlich in die Gelbe Tonne. 36 Prozent der Abfälle wären kompostierbar. Kommune und Entsorgungsfirma wollen mit dieser gemeinsam in Auftrag gegebenen Müllschleuse, so Soltau, „gerechte Gebühren und weniger Müll“.

Im November präsentierte die Wesoma den Prototyp ihrer „Containereinhausung mit gebührenpflichtiger Entsorgungsschleuse“. Das Schließsystem wird von Solarmodulen betrieben, kann aber auch ans Netz angeschlossen werden. Nun sucht die 50-Leute-Firma nach einem Standort für eine neue Produktionshalle. Prokurist Kaden schätzt: „Für die Serienfertigung müssen wir 100, 120 Leute einstellen.“ Der Müllverzehrer wird von Software und Solarzelle bis zur letzten Stahlschraube in sächsischen Firmen gefertigt. Wie früher der Trabi. Detlef Krell

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