Es ist nicht meine Aufgabe, Richter zu verteidigen

■ Justizsenatorin Peschel-Gutzeit (SPD): Keine Weisung für Generalstaatsanwalt Karge, der auf Stammtischniveau härtere Strafen verlangt, sich zu mäßigen. Für saubere Straßen brauche Innense

taz: Ist Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge, der nach schärferer Bestrafung ruft, der eigentliche Justizsenator? Warum sind Sie so defensiv?

Lore Maria Peschel-Gutzeit: Wenn Sie meinen, daß der, der schärfere Bestrafungen fordert, der eigentliche Justizsenator ist, dann ist das nicht mein Verständnis.

Aber Sie stellen sich auch nicht hinter die Richter, die von Karge angegriffen werden und die sich von Ihnen im Stich gelassen fühlen.

Ich selbst komme von der Justiz. Ich habe dreißig Jahre erlebt, welche Erwartungen Richter und Richterinnen an einen Justizsenator haben. Der ist für sie eigentlich keine Größe und hat für deren richterliche Tätigkeit keine Bedeutung. Wenn ein Richter für seine Entscheidung angegriffen wird, so ist es nicht meine Aufgabe als Senatorin, die Entscheidung als prima oder auch merkwürdig zu kommentieren. Ich bin die Exekutive, das andere ist die Judikative. Ich halte mich ganz strikt daran.

Das stimmt nicht. Sie haben kürzlich eine Haftverschonungsentscheidung einer Richterin als „ungewöhnlich“ kritisiert.

Das stimmt, ist aber eine absolute Ausnahme und hieß nur, daß eine solche Entscheidung eher selten vorkommt.

Aber viele Richter beklagen, daß Sie Ihnen zuwenig den Rücken stärken, wenn Generalstaatsanwalt Karge sie als zu milde kritisiert.

Einerseits möchten die Richter den Rücken gestärkt bekommen, wenn sie sich zu Unrecht angegriffen fühlen. Andererseits wollen sie, daß niemand sich einmischt. Da aber eine Unabhängigkeit nun mal negativ wie positiv ist, müssen Richter damit leben, daß sie ihre Entscheidung selbst zu verantworten haben. Wenn ich heute anfange und sage, diese Entscheidung ist richtig, dann muß ich auch morgen sagen, diese ist falsch. Beides werde ich nicht tun. Ich bin wirklich der Ansicht, wenn Richter unabhängig sind, dann sind sie es in jeder Richtung.

Warum gehen Sie nicht in den politischen Clinch mit Generalstaatsanwalt Karge, der ständig mit harten Forderungen auftritt und viel Kritik dafür erntet?

Bei der Staatsanwaltschaft ist es etwas anderes als bei den Richtern, die überhaupt keiner Einflußnahme unterliegen, und offensichtlich auch ein Punkt, über den man sich schwer verständigen kann. Die Staatsanwaltschaften können mit Weisungen versehen werden, was aber grundsätzlich nicht mein Justizverständnis ist. Da ich das so sehe, muß ich es auch zulassen, daß ein Generalstaatsanwalt sich äußert. Auch er hat ein Recht auf freie Meinungsäußerung.

Aber Sie widersprechen ihm auch nicht, wenn Karge auf Stammtischniveau argumentiert.

Er ist vom Parlament gewählt und damit demokratisch anders legitimiert als in vielen anderen Bundesländern. Im übrigen ist er Ankläger. Seine Funktion ist es also, Strafen zu fordern, auch harte Strafen, während Verteidiger die Funktion haben, für milde zu plädieren. Das Gericht muß einen Weg dazwischen finden.

Die Strafverteidigervereinigung sieht keinerlei Basis mehr für eine Zusammenarbeit mit Karge.

Wir haben in einer Arbeitsgruppe fast ein Jahr lang zusammen an einem Tisch gesessen, zusammen mit der Rechtsanwaltskammer und der Strafverteidigervereinigung und teilweise mit den Generalstaatsanwälten. Ich habe jetzt auf deren Bitte wieder die Rechtsanwälte eingeladen. Ich bin überzeugt, wenn ich die Generalstaatsanwälte dazubitte, natürlich nur nach Abstimmung mit den Anwälten, werden sie selbstverständlich miteinander sprechen.

Sind Sie der Meinung, daß man in Berlin härter bestrafen sollte, daß zu oft Straftäter auf freiem Fuß bleiben?

Wegen der Unabhängigkeit der Richter mische ich mich nicht in die Rechtsprechung ein. Sie werden von mir nicht hören, daß die Richter härter bestrafen müssen.

Aber Sie haben doch eine persönliche Meinung dazu?

Natürlich. Aber die werde ich hier nicht sagen. Sie müssen akzeptieren, daß ich zur Rechtsprechung nichts sage.

Aber Sie sagten, daß in Berlin zu viel verhaftet wird.

Ich habe gesagt, daß in Berlin statistisch gesehen viel verhaftet wird. Das kann tausend Gründe haben. Das kann auch heißen, daß hier besonders viel passiert.

Sie haben sich sehr für die Korruptionsbekämpfung eingesetzt. Welche Ergebnisse haben Sie bisher erzielt?

Es gibt Ergebnisse. Aber das ist noch nichts, was uns zufriedenstellt. Wir möchten eine zentrale Erfassungs- und Koordinationsstelle gründen. Das war auch von vornherein geplant, dafür brauchen wir aber eine gesetzliche Grundlage. Die haben wir geschaffen als Entwurf. Der befindet sich im Augenblick in der Abstimmung mit den Behörden.

Gibt es einen Mentalitätswandel in den Behörden?

Das ist genau das Problem. Wir bekommen Hinweise, vor allem aus der Bevölkerung und von einigen Bediensteten. Schwierig ist es, denjenigen die Möglichkeit zu schaffen, sich ohne Schaden zu äußern, die es täglich miterleben. Deswegen ist ein wesentliches Kriterium dieser zentralen Erfassungsstelle, daß Bedienstete verpflichtet werden sollen, daß sie das, was sie an korruptiven Zusammenhängen erkennen, direkt dieser Stelle melden, ohne Einhaltung des Dienstweges. Wir sind überzeugt davon, daß wir dann sehr viel mehr erfahren werden. Dafür haben wir Anhaltspunkte aus anonymen Schreiben.

Heißt das, daß Verwaltungen strukturell unfähig sind zur Selbstaufklärung?

Das meine ich nicht. Aber wir wissen, daß jedes große Gebilde, das ist in der Wirtschaft nicht anders als in der Verwaltung, immer auch eigene Verkrustungen und Nischen bildet. Um da hineinzukommen, haben wir die Innenrevision sehr verstärkt. Außerdem haben wir im März einen Verhaltenskodex als allgemeine Verwaltungsrichtlinie verabschiedet. Jetzt fehlt uns noch die zentrale Erfassungs- und Koordinierungsstelle.

Wie viele Hinweise haben Sie bisher bekommen?

Es waren um die achtzig. Den allergrößten Teil haben wir an die Staatsanwaltschaft weitergegeben, weil die Hinweise konkret genug waren.

Überrascht Sie die Zahl der Hinweise?

Es überrascht mich weder die Zahl noch der Inhalt. Sie sind recht konkret, und das können wir dann auch weitergeben. Korruption ist überall ein Tabuthema, nicht nur in Berlin. Was wir bisher an Bestechungsanklagen hatten, hat vor allem externe Sachverhalte wie Führerscheine oder Aufenthaltsgenehmigungen betroffen, im Grunde ausgegliederte Bereiche. Aber wir müssen an das Vergabewesen herankommen. Hierzu brauchen wir Hinweise von Bediensteten. Deswegen haben wir in unserer Gesetzesinitiative eine Kronzeugenregelung vorgeschlagen, damit die Leute schadlos reden können. Sonst reden sie nicht.

Man muß akzeptieren, daß Korruption etwas Normales ist, was in jeder Verwaltung vorkommt?

Ich sage weder, daß Korruption normal ist, noch daß sie akzeptiert wird. Aber wir können doch nicht die Augen davor verschließen. Wir wissen, daß Korruption überall vorkommt. Alle Vermutungen sprechen dafür, daß sie auch in Berlin vorkommt. Dann müssen wir auch die Instrumente zur Bekämpfung haben.

Reichen die Instrumentarien, wenn die Verführungen im Zusammenhang mit dem Regierungsumzug, erhöhtem Bauaufkommen und Vergaben größer wird?

Es gibt bisher niemanden, der andere Instrumentarien hat. Das sind die, die bekannt sind. Die genannten Instrumentarien haben zum Teil ganz hervorragend in Italien funktioniert. Ich arbeite relativ eng mit der internationalen Vereinigung zur Bekämpfung von Korruption, Transparency International, zusammen. Die haben auch keine anderen Instrumentarien.

Berlin steht vor einer neuen Sparrunde. Sehen Sie die Gefahr, daß die Sozialdemokraten bei der Haushaltssanierung zwar erfolgreich sind, dabei aber sich selbst wegsparen, weil sie nur noch als Sparkommissar wahrgenommen werden?

Ich sehe diese Gefahr nicht. Wir hatten kein gutes Wahlergebnis. Auf keinen Fall war die Ursache, daß die SPD etwa alleine und zu viel gespart hat. Wir haben nach der Wahl gesehen, es führt kein Weg an der Sparnotwendigkeit vorbei, und wir sind entschlossen, diesen Weg zu gehen. Nicht, um uns allen die Luft abzudrehen. Im Gegenteil. Es geht darum, für die nächsten Jahre Bewegungsräume in der Politik zu schaffen und zu erhalten. Ob sich das letzten Endes politisch auszahlt, kann kein Mensch vorhersagen. Selbst dann, wenn manche Menschen sich wünschen, das Füllhorn würde weiter so ausgeschüttet werden wie bisher, ohne zu fragen, wo das Geld herkommen soll, werden andere doch erkennen, daß wir uns wirklich bemühen, nicht nur die Bewegungsfreiheit zu erhalten und das Nötige wirklich zu tun, sondern daß wir uns ebenso bemühen, nicht unsere Kinder und Kindeskinder in einer Weise zu binden, daß sie sich überhaupt nicht mehr bewegen können, weil jede Mark für Zinsen ausgegeben werden muß.

Wo gibt es für Sie Tabuzonen beim Sparen?

Zum Beispiel bei der Jugend. Sie wird im Augenblick politisch viel zu wenig beachtet. Es ist eine egoistische Politik, für die Inhaber von Arbeitsplätzen etwas zu tun, und nicht zu sehen, daß wir eine ganze Generation außen vor lassen.

Sehen Sie einen Zusammenhang mit den vollen Jugendhaftanstalten?

Kriminologisch gibt es den Erfahrungswert, daß Armut und Beschäftigungslosigkeit zu erhöhter Kriminalität führt. Es ist hoch deprimierend, wenn erst im Knast etwas für junge Menschen getan wird. Das dort aufgewendete Geld und die Zuwendung würden am Anfang des Lebens eines jungen Menschen viel mehr bewirken.

Sie sind kürzlich in die Stapfen von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) getreten und haben ein sauberes Berlin gefordert. Wollen Sie die Freiwillige Polizeireserve wirklich zum Hundekot- Einsammeln einsetzen?

Das ist eine unzulässige Verkürzung. Ich habe dieses Thema angesprochen, um gute Lebensbedingungen zu schaffen. Dafür braucht man Zeit und Kraft. Das muß man möglichst in einer Zeit anfangen, in der man nicht ununterbrochen von politischen Strömungen wie in einem Wahljahr getrieben wird. Ich gehe davon aus, daß es breiten Konsens gibt, daß sich Berlin, eine sehr schöne und spannende Stadt, für die Menschen hier anders darstellen sollte. Dazu gehören zum Beispiel Graffiti-Schmierereien und der viele Hundedreck. Es geht darum, bestehende Gesetze, das Straßenreinigungsgesetz, anzuwenden. Das ist Aufgabe der Bezirke. Weil diese nicht genug Außendienstleute haben, macht das die Polizei in Amtshilfe. Weil die Polizei auch nicht genug Leute hat, ist der Gedanke entstanden, die Freiwillige Polizeireserve, deren Aufgaben ohnehin neu definiert werden müssen, eventuell im Umweltbereich einzusetzen. So eine Art Ranger. Ich habe nie davon gesprochen, daß die Freiwillige Polizeireserve Hundekot einsammeln soll.

Sie haben damit dem Innensenator gesagt, er soll nicht nach der sauberen Stadt rufen, sondern selbst die Ärmel hochkrempeln?

Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sagen, die Gesetze müssen ununterbrochen schärfer werden. Wenn die vorhandenen nicht angewendet werden, macht sich ein Staat unglaubwürdig.

Das Interview führten Plutonia Plarre, Barbara Bollwahn und Gerd Nowakowski