piwik no script img

Gürteltier mit Negerkrause

„Abenteuer Natur“ verblüfft durch eine eigentümliche Mischung aus lapidarer Völkerkunde, tollen Tierfotos und wunderbar unnützem Wissen über die heimische Wohnzimmerfauna  ■ Von Oliver Gehrs

Typisch Sielmann – immer ein Tier auf dem Arm. Meistens einen Fischotter, den Liebling des Tierfilmers und Verhaltensforschers, der die deutschen FernsehzuschauerInnen in den achtziger Jahren auf so manche Expedition ins Tierreich mitnahm. Auch gerade ist er wohl wieder unterwegs, um irgendwo auf der Welt eine Unterart der Bisamratte zu rehabilitieren.

Wer Sielmann trotzdem sehen will, braucht aber nur an den Kiosk zu gehen und sich das zweimonatlich erscheinende Magazin Sielmanns Abenteuer Natur aus dem Frankfurter Wirtschaftsverlag WDV zu besorgen, aus dessen Cover der 78jährige Honorarprofessor braungebrannt aus dem Safari- Outfit herauslächelt. Im Heft selbst kommt er allerdings kaum zu Wort, wohl eher dient sein prominenter Name dazu, das Natur- Blatt zu bewerben.

Denn das Segment ist hart umkämpft: Nachdem Geo vor zwanzig Jahren als erstes Magazin Flora und Fauna so aufbereitete, daß nicht nur Biologen, sondern auch Zahnärzte und Architekten ihren Spaß daran hatten, kamen nach und nach immer mehr Naturmagazine an den Kiosk, die sich mittlerweile aufs darwinistischste gegenseitig Auflage und Anzeigen abgraben. Dabei ist es oft völlig egal, zu welchem Blatt man greift, denn allen gemein ist die Melange aus Fotos mit Frühnebel, flankiert von einer Erlebnissprache, durch die selbst der Schwarzwald zum Abenteuergebiet verklärt wird. Das mag in puncto Blautannen legitim seien, wird aber in der Ethno-Rubrik schnell peinlich.

So bekommen die etwa 57.000 Käufer von Abenteuer Natur für 8 Mark eine abenteuerliche Mischung aus Tierfotos und Völkerkunde. Motto: Jede Ausgabe ein neuer Stamm.

Wie weiland in Hagenbecks Tiergarten gibt es nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern auch die letzten verschonten Völker dieser Welt zu bewundern. Mal wird das Freizeitverhalten der indischen Bondo analysiert („unberechenbare Wilde“), mal werden kolportierte Gerüchte über eine Gruppe fleißiger Baumhäuslebauer vom Amazonas in griffige Schlagzeilen gegossen: „Kannibalen im Penthouse.“ Und fast immer sind die Abenteuer Natur-Autoren die „ersten Europäer“, die sich mit gezückter Kamera ins ethnologische Krisengebiet wagen: Denn wie der Natur-Reporter weiß, gelten gerade die Bondo als die größten Raufbolde ganz Indiens: „Länger als vier Wochen hat es bislang nur ein Weißer bei ihnen ausgehalten.“

So lange wollte der weiße Mann von Abenteuer Natur dann aber wohl doch nicht bleiben. Er begnügte sich anscheinend mit einer Kurzvisite, um Volkspsyche und physiognomische Besonderheiten der „schmutzigen Rabauken“ abschließend einzuordnen: „Mongolide Züge neben den typisch vorarischen anderer indischer Stämme, Negerkrause, schmale und breite Lippen, Kurzwüchsigkeit und hünenhafte Körperstatur mischen sich in einer für indische Stämme einmaligen Weise.“

Wo das Recherchematerial von 33 versagte, mußte die bloße Spekulationsfähigkeit herhalten. Als Gründe, warum Bondo-Frauen zuweilen erst zehn Jahre alte „Männer“ ehelichen, vermutet der Autor entweder, „daß die Frauen die verbleibenden Jahre bis zur Geschlechtsreife ihres jungen Gemahls noch ausgiebig genießen wollen“, oder aber, „daß sie den Zeitpunkt der Defloration hinauszögern wollen“. Da ist für jeden Geschmack was dabei – frei nach der Heftphilosophie von Chefredakteur Thomas G. Schmidt, der den LeserInnen „die Natur in ihrem ganzen Facettenreichtum nahebringen will. Unabhängig, überparteilich und ohne jeden ideologischen Zungenschlag.“

Das sagt er so, dabei müssen die LeserInnen zwischen all den schönen Bildern von planschenden Delphinen und possierlichen Ameisenbären öfter mal durch eine intellektuelle Serengeti, in der viele Gedanken schon im Ansatz vertrocknet sind. So polemisierte der ehemalige Präsident des Verbands deutscher Zoodirektoren, Dieter W. Poley, auf zwei Seiten über die von ihm ausgemachte „Hetzkampagne“

gegen organisierte Käfighaltung. Freilich vermochte er der „immer stärker zutage tretenden Bereitschaft zur Kritik“ kaum eigene Argumente entgegenzuhalten: So fiel ihm zum Vorwurf, daß Zootiere mit der Zeit physische und psychische Domestikationseffekte entwickeln, nicht viel mehr Replik ein, als daß „der federführende Autor dieser Behauptung Beweise bisher schuldig geblieben ist“. So einfach ist das. Nur wenige Zeilen waren ihm auch die restlichen Essentials der Anti-Zoo-Bewegung wert: „Das Gehege muß nicht nur dem Verhaltensinventar des Zootiers Rechnung tragen, sondern für den Tierpfleger gut zu reinigen sein.“

Wer da zugunsten der eingesperrten Exoten intervenieren will, wird schlichtweg als „emotionsgeladener biologisch Halbgebildeter“ in die Schranken gewiesen, den Poley wohl am liebsten gleich mit in den Zwinger stecken würde.

Da schaut man doch lieber die tollen Bildstrecken an, für die sich die weltbesten

FotografInnen an Riesenheuschrecken und bizarre Gürteltiere rangezoomt haben. Und was die Reporter von Abenteuer Natur so aus den Felsspalten der Tiefsee pulen, hat auch durchgängig Charme: So läßt sich zum Beispiel der „Fetzendrachenfisch mit der dauerhaften Dünung wie Tang hin und her schwingen“ und schnappt nur ab und zu mit seiner „röhrenartigen Schnauze“ ein paar vorbeihuschende Krillkrebse. Da ist er dann wieder: der anpoesierte Sielmann-Stil für unbeschwerte Abende in der Kaminecke.

In kleineren Rubriken hält Abenteuer Natur außerdem wunderbar unnützes Wissen parat – zum Beispiel über das Verhalten von Spinnen unter Cannabis-Einfluß. So flößten Forscher den Insekten im Auftrag der Nasa diverse Drogen ein, um deren Netzbaukünste im benebelten Zustand zu studieren. Fazit des abseitigen Experiments: „Unter Marihuana- Einfluß sponnen die Spinnen locker drauflos, ließen aber kurz vor der Netzvollendung völlig gleichgültig von ihrem Tun ab.“

Da ist der gemeine Sielmann- Leser ausdauernder. Hat er doch nach etlichen Ausgaben das Stadium bloßen Rezipiententums längst hinter sich und sorgt ab und an mit spektakulären Eigenentdeckungen im Bereich der Wohnzimmerfauna für Aufhorchen in der Redaktion. So beobachtete Abenteuer Natur- Leser Joachim Weber stundenlang eine Kreuzspinne, die sich – entgegen der verbreiteten arachnologischen Lehrmeinung, derzufolge gerade diese Art besonders virtuos daherkommt – ziemlich abmühte, den tragenden Faden für ihr Netz zu bauen.

Der Weg zum Tierforscher ist halt mühsam, weswegen sich wohl auch Sielmanns Erinnerungen an seine „erste Begegnung mit Afrika“ wie die Druckfahne eines neuen Abenteuerromans lesen. Kaum ein Absatz findet sich darin, der nicht schaurig endet: „Ich konnte auch diesmal gerade noch rechtzeitig entkommen“ oder, noch dräuender: „Wehe, wenn ich gestrauchelt wäre...“

Dann wären die LeserInnen höchstwahrscheinlich nie in den Genuß eines anderen netten Einfalls der Redaktion gekommen. Nämlich des Popo-Quiz, bei dem man allerlei leuchtende Affenärsche ihren Besitzern zuordnen muß. Lösungswort: Abenteuer Natur.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen