■ Nebensachen aus Paris: „Ich bin vom Geheimdienst“
Wer ich sei, soll ich dem mittelalten Herrn auf dem Vorplatz des Justizpalastes im Pariser Stadtzentrum erklären. Er hat mich freundlich angesprochen und dabei sogar das landesübliche Lächeln aufgesetzt. Aber mich ärgert die indiskrete Unterbrechung meines Interviews und so frage ich ihn das gleiche zurück. „Das können Sie gerne wissen“, sagt er, „ich bin vom Geheimdienst.“
Überraschend ist das nicht. Der Mann hält ein Walkie-talkie in der Hand, aus dem es unaufhörlich piepst, er läuft herum wie ein Hausherr in seinem Vorgarten, und er ist nicht allein. Hinter ihm stehen einige Polizisten in blauer Kampfuniform sowie mindestens ein weiteres Dutzend Funkgeräte tragende Mitarbeiter der „Renseignements Généraux“ – des Geheimdienstes, der den Alltag der Citoyens auskundschaftet. Die umliegenden Straßen sind mit den dunkelblauen Wannen vollgeparkt, die zum Abtransport von Festgenommenen dienen, und die Metro-Station Cité ist gesperrt – „auf Befehl des Polizeipräfekten“, erklärt eine Durchsage.
Der Aufmarsch gilt den 20 Personen, die in Zweier- und Dreiergruppen zwischen den vorbeischlendernden Touristen auf dem Platz stehen und ohne die Polizeipräsenz niemandem auffallen würden. Eigentlich wollten sie von ihrem Verfassungsrecht Gebrauch machen und demonstrieren – gegen die Illegalisierung von Immigranten in Frankreich. Doch im letzten Moment hat der Polizeipräfekt die Veranstaltung untersagt. Angeblich weil die Mitteilung an die Polizeipräfektur einen Tag zu spät eingegangen ist. Im persönlichen Gespräch erfährt einer der verhinderten Demonstranten, daß es gar nicht um die Frist, sondern um den Ort geht. Gegen eine Demonstration an Bastille oder République hätte der Präfekt nichts.
„Wenn Sie nicht sofort verschwinden, nehme ich Sie fest“, droht mir ein kampfuniformierter Polizist und weist auf die Einsatzwagen, in denen bereits ein junger Mann verschwunden ist. Ich ziehe mich auf die Terrasse der benachbarten Bar zurück, wo die verhinderten Demonstranten mehrere Tische zusammengeschoben haben. Eine Dame, die die Metro- Durchsage gehört hat, ist aus purem Trotz zu ihnen gestoßen. Der Geheimdienstler steht neben dem Tisch und versucht ein joviales Gespräch: „Ich weiß doch auch nicht, warum das hier verboten ist.“
„Wir kennen uns seit Jahren“, erklärt der Anarchist neben mir, „die observieren ihre Objekte bis zur Rente“. Ein Grüner erläutert, daß die empfindliche Reaktion mit dem symbolträchtigen Platz zu tun hat. In dem benachbarten Justizpalast und in der Polizeipräfektur entscheidet sich die Zukunft von Immigranten in Frankreich. Hier werden die immer selteneren Aufenthaltsgenehmigungen ausgestellt, und hier beginnen die immer häufigeren Abschiebungen. Eine Christin schimpft über die Angst vor den Rechtsextremen, die sie hinter dem Demonstrationsverbot – dem zweiten binnen einer Woche – vermutet. Ein älterer Gewerkschafter fühlt sich an die Zeiten unter de Gaulle erinnert. „Das ist die Arroganz des Staates“, sagt er.
Die uniformierte Polizei rückt immer näher an den großen Café- Tisch heran. Die verhinderten Demonstranten trinken Kaffee und plaudern. Als eine Limousine aus der benachbarten Tiefgarage kommt, bringen sie zwei afrikanische Immigranten von ihrem Tisch zum Wagen, der mit quietschenden Reifen abfährt. Anschließend fragen sie mich, ob ich sie bis zur nächsten offenen Metro-Station begleiten kann – „zur Sicherheit“. Dieses Mal sage ich „ja“ und zücke den Notizblock, der mich als Journalistin ausweist. Meine neuen Bekannten vom Geheimdienst bleiben zurück. Stunden später piepsen ihre Walkie-talkies immer noch an den Straßenkreuzungen der Ile de la Cité. Dorothea Hahn
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