: Medienmimosen Von Mathias Bröckers
Wo hören Kritik und Meinungsäußerung auf und fangen Beleidigung und üble Nachrede an? Seit Caroline von Monaco unlängst 180.000 Mark Schmerzensgeld wegen eines erfundenen Interviews in der Bunten zugesprochen wurden, sind in Deutschland die Tarife für beleidigte Promimente drastisch erhöht. Zwar trifft es im Fall des Burda-Flaggschiffs nicht den Falschen, Klatschblätter wie die Bunte machen ein Millionengeschäft mit Fakes und dubiosen Nachrichten – insofern sind die erhöhten Schmerzensgelder nur eine Anpassung an die gestiegenen Umsätze der Branche.
Die 50.000 Mark, die Prinz Bernhard 1969 erstritt – für die Behauptung, er habe von der Abtreibung seiner Nichte gewußt –, scheinen in der Tat eine antiquierte Schallgrenze, verglichen mit den Zusatzprofiten, die sich heute etwa mit dem Exklusivinterview eines Topstars machen lassen.
Schon hat sich die Bunte einen neuen prominenten Kläger eingehandelt: Hollywood-Beau Tom Cruise will gegen die Behauptung vorgehen, er sei impotent. Auch das wird teuer werden, wenn sich die deutsche Rechtsprechung nach dem Monaco-Urteil nun langsam den Schmerzensgelddimensionen der US-Justiz nähert. Summen von 4.000 Mark, wie sie die taz vor einigen Jahren für die Bezeichnung „Rasende Weißwurst...“ an den Rodler Schorsch Hackl überweisen mußte, dürften dann bald ebenso der Vergangenheit angehören wie die 40.000 Mark, die sich Björn Engholm von der Titanic erstritt, weil sie ihn – „Sehr komisch, Herr Engholm!“ – in der Barschel- Badewanne auf den Titel brachte.
Nicht, daß wir persönlichkeitsverletzte Prominente um einen Inflationszuschlag beim Schmerzensgeld bringen möchten – doch die Gefahr astronomischer Entschädigungen liegt auf der Hand: Je großzügiger die Wiedergutmachungen oben ausgeschüttet werden, desto niedriger wird unten die Einstiegsschwelle, denn was dem klagenden Superstar recht ist, kann dem Normalbürger nur billig sein. Das heißt, daß künftig wohl ein Heer von Erniedrigten und Beleidigten die Gerichte anrufen wird.
Daß zum Beispiel Focus-Klops Markwort demnächst 15.000 Mark kassieren wird, weil ihn eine Karikatur des Zeichners OL statt des Dumpfslogans „Fakten, Fakten, Fakten“ in der Berliner Zitty „Ficken, Ficken, Ficken“ hatte sagen lassen, deutet den Trend zu mimosenartigen Schmerzgrenzen und Beleidigungsschwellen weit oberhalb der Gürtellinie bereits an.
In Gefahr ist deshalb nicht die Pressefreiheit, wie der Bunte-Justitiar gegenüber der Woche jammerte: „Für die Redakteure bin ich nach deren gesunden Rechtsempfinden schon jetzt eine Plage, nun muß ich Artikel noch stärker zensieren“ (als würde einfaches Dokumentieren nicht völlig reichen), sondern die letzten Reste von Streitkultur, für die Beschimpfung, Spott und Polemik unverzichtbar sind, als Salz in der Suppe sachlicher Kritik.
„Wer öffentlich kegelt, muß nachzählen lassen, wieviel er getroffen hat“, hieß es beim Alten Fritz; und wer heute seine Visage in die Medien hält, muß gewärtigen, daß ihm dieselbe dort auch poliert wird. Wo kommen wir hin, wenn auf öffentlicher Bühne nur noch Lob, Hudel und karrierefördernder Schleim geduldet werden, aber jeder Buhruf gleich zu einem Beleidigungsprozeß führt?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen