piwik no script img

„Vorgehen wie in Diktaturen“

■ SPD-Juristen fordern Borttscheller-Rücktritt / Scherf verteidigt Innensenator

Zwei Tage nach den massenhaften Platzverweisen und Inhaftierungen in Bremen kamen die ersten SozialdemokratInnen gestern aus der Deckung: Innensenator Ralf Borttscheller soll zurücktreten, forderte die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer JuristInnen (ASJ). Auf Nachfrage meldet auch der innenpolitische Sprecher der SPD, Jens Böhrnsen, vorsichtige Zweifel an: „Ich werde den Innensenator um eine umfassende Analyse des Polizeieinsatzes bitten.“ Ob es tatsächlich zu Rechtsverstößen gekommen ist, will er jetzt prüfen.

Rückendeckung bekam Borttscheller dagegen von Bürgermeister Henning Scherf. Der wollte sich gegenüber der taz zwar nicht äußern, ließ jedoch durch die Senatspressestelle erklären, durch den Polizeieinsatz sei es gelungen, die Lage „ohne Beschädigung unserer Liberalität und Rechtsstaatlichkeit glimpflich zu bewältigen“. Es gebe daher „keinen Anlaß“, für die Rücktrittsforderung an Borttscheller.

Unterdessen haben die Grünen eine parlamentarische Initiative zum Verhalten des Innensenators und der Polizei rund um das vergangene Wochenende angekündigt. Am Donnerstag werden sie bei der Sitzung der Innendeputation einen Fragenkatalog vorlegen, in der Bürgerschaft wird es eine Große Anfrage geben, und per Anzeigen wollen die Grünen Zeugenberichte sammeln. Den Rücktritt des Innensenators fordern die Grünen vorerst nicht. „Aber man muß schon sagen, daß seine Äußerungen auf Stammtisch-Niveau unvereinbar sind mit dem Amt eines Senators“, erklärte der innenpolitische Sprecher Martin Thomas.

JuristInnen des Anwalts-Notdienstes und der ASJ nennen den größten Teil der Festnahmen im Zusammenhang mit den Chaos-Tagen unterdessen einen glatten Rechtsbruch. Empörend, daß Jugendliche teilweise über 19 Stunden lang ohne ausreichende Verpflegung und ohne ein Mindestmaß an Hygiene in Garagen festgehalten wurden. Selbst rechtmäßig verurteilte Straftäter dürfte man so nicht behandeln. Menschen nach äußeren Merkmalen und einer vermuteten Gesinnung zu verhaften, sei ansonsten nur in Diktaturen oder autoritären Staaten üblich.

Daß der Innensenator die Kritik am polizeilichen Vorgehen und insbesondere den Haftbedingungen mit der Erklärung abtat, daß „die Belegung von Drei-Sterne-Hotels nach dem bremischen Polizeigesetz nicht vorgesehen ist“, kreidet ihm insbesondere die ASJ schwer an: Dieser Zynismus gibt Anlaß zu Zweifeln, „ob dieser Mann ausreichende moralische Qualitäten und rechtsstaatliches Bewußtsein für die Führung der Innenbehörde und der Polizei besitzt“, formulierte ASJ-Vorstand Andreas Fisahn.

Die Liste der übrigen Vorwürfe ist lang – und gipfelt seitens des Rechtsanwalts Martin Stucke im Vorwurf, Borttscheller habe seinen Eid auf die Landesverfassung gebrochen. „Die Verfassung garantiert dem Menschen die Freiheit – und das Polizeigesetz erlaubt die Inhaftierung zur Gefahrenabwendung nur nach einer Prüfung drohender erheblicher Gefahr für Leib und Leben, Freiheit, Bestand des Staates“, erläutert der Rechtsanwalt, der am Samtag für Inhaftierte aktiv geworden war. Von einer konkreten Prüfung der Gefahr sei aber nicht die Spur gewesen – im Gegenteil: für die Gefahrenannahme hätten allein „punktypisches Verhalten oder Aussehen“ hergehalten. „Das ist Freiheitsberaubung im Amt“, so Stucke. Gegen das „eindeutig rechtswidrige“ Verhalten der Bremer Polizei wolle man jetzt mit Schmerzensgeld- und Schadenersatzforderungen angehen. ede

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen