„Mir haben sie die Säge abgenommen“

Vor einem Jahr eroberte Kroatien die Krajina zurück. Und trieb 150.000 Serben in die Flucht. Eine Rückkehr der Flüchtlinge ist nicht gewollt. Und noch immer werden serbische Häuser geplündert  ■ Aus Knin Erich Rathfelder

Weit sichtbar weht die kroatische Fahne auf dem Burgberg über Knin. Es ist keine gewöhnliche Fahne, denn sie ist übergroß. Sie drückt den Stolz der Kroaten aus, Knin, die kroatische Königsstadt des Mittelalters, heute wieder zu beherrschen. Am 5. Juli 1995 eroberten kroatische Truppen im Rahmen einer großangelegten Offensive die Stadt. Das war der Höhepunkt der Operation „Sturm“, als die Kroaten in 82 Stunden die meisten serbisch kontrollierten Gebiete zurückgewannen.

Das Städtchen, in dem vor der Militäraktion fast ausschließlich Serben lebten, ist nicht mehr wiederzuerkennen. Vor wenigen Monaten noch waren die Häuserfassaden an der Hauptstraße mit Einschußlöchern übersät, die Fensterscheiben zerborsten, auf den Straßen lagen Hausrat und Müll, kaputte und ausgebrannte Autos säumten die Zufahrtswege. Heute sind die meisten Fassaden neu gestrichen, die Straßen aufgeräumt und neu geteert, Geschäfte und Lebensmittelläden quellen von Waren über, Menschen schlendern herum oder sitzen in einem der zahlreichen, neu eröffneten Cafés.

Doch es sind großteils neuen Bewohner, die die Stadt bevölkern. Nur 700 der einstmals 12.000 serbischen Bewohner sind geblieben. Die meisten von ihnen sind mit einem kroatischen Partner verheiratet. Zwar sind 1.000 kroatische Altbewohner Knins zurückgekommen, die ihrerseits vor den serbischen Freischärlern der Krajina im Jahre 1991 geflohen waren. Die meisten der heutigen Bewohner sind jedoch Flüchtlinge aus anderen Regionen: zumeist vertriebene Kroaten aus der Region um Banja Luka. Und auch die 2.000 Angehörigen von Soldaten der kroatischen Armee, die hier angesiedelt worden sind, kennen die Stadt von früher nicht.

„Vor allem die Flüchtlinge sind die Leute, die von einer Rückkehr der Serben nichts wissen wollen.“ Die in Split lebende Olga Simić ist Mitglied der Organisation „Kroatisches Helsinki-Komitee für Menschenrechte“. Die Organisation hat in Knin ein Büro eröffnet. Und versucht vielen Menschen, zumeist älteren Serben, die in den umliegenden Dörfern geblieben sind, zu helfen. Einfach durch Besuche, um den Papierkram zu bewältigen, um die gröbste Not zu lindern. Und um zu versuchen, Rückkehrern den Schritt nach Knin möglich zu machen. „Viele wollen zurück. Obwohl Serben hier bei der Arbeitsvermittlung benachteiligt werden, obwohl manche kaum wissen, wovon sie leben sollen, sehen viele Flüchtlinge diese Aussichten als erträglicher an, als in Flüchtlingslagern in Serbien zu vegetieren.“ Dreihundert Serben haben es bisher geschafft. Doch die kroatischen Behörden haben hohe Hürden für die Rückkehr aufgebaut.

Mijo, Polizist in Knin, wurde im Juli 1991 von den serbischen Aufständischen aus dem 10 Kilometer entfernten Dorf Kijevo vertrieben. Das Dorf wurde von den Serben dem Erdboden gleichgemacht. „Da habe ich Rache geschworen.“ Keinesfalls möchte er die Rückkehr der Serben in die Stadt erlauben. „Das geht jetzt nicht mehr.“ Major Petar Skorić dagegen ist ein kühler Kopf. Für ihn ist die Frage der Rückkehr eine Frage an die Politik. Er sei Militär, führe lediglich Befehle aus. Nach der Tragödie von Srebrenica und dem serbischen Angriff auf die Enklave Bihać wäre keine andere Möglichkeit geblieben, als von kroatischer Seite selbst anzugreifen, sagt er. Die muslimischen Verteidiger von Bihać hätten nur noch für drei Tage Munition gehabt. „Wir konnten nicht mehr länger warten.“

Major Petar Skorić befehligte damals eine Einheit, die Knin vom Osten, vom bosnischen Territorium, her umzingelte. „Die Aktion war schon zehn Monate vorher vorbereitet.“ Im Mai 1995 vereinbarten die Präsidenten Kroatiens und Bosniens, daß kroatische Truppen in Bosnien-Herzegowina operieren dürften. Drei Wochen vor der großen Offensive besetzten die kroatischen Truppen die Höhenzüge östlich von Knin.

Den Serben ließen sie einen Fluchtweg offen. Die Straße nach Bosanski Petrovac war solch ein Weg. „Wir hatten kein Interesse an zivilen Opfern, wir wollten unnötiges Blutvergießen vermeiden, die Leute sollten fliehen können. Und das taten sie auch.“

Es waren die Bilder des langen Trecks der serbischen Bevölkerung, die die Welt erschütterten. In Autos und Pferdewagen, zu Fuß und in Ochsenkarren zogen sie die Straßen entlang in den serbisch besetzten Teil Bosniens, nach Prijedor, nach Banja Luka. Alte und kranke Menschen starben, Elend und Verzweiflung waren den Gesichtern abzulesen. Mit dem Auszug der Serben ging eine 400 Jahre alte Besiedlungsgeschichte der Serben in Kroatien vorerst zu Ende. Der Treck der 150.000 signalisierte die erste gravierende Niederlage der Serben in diesem Krieg.

Das Tal von Plavno ist knapp 20 Kilometer von Knin entfernt. Die Dörfer liegen an den Hängen der Höhenzüge, die das Polje, das Feld, die abflußlose Ebene, umgeben. Hier, in diesem nur durch eine einzige Straße erreichbaren Gebiet, haben seit jeher nur Serben gelebt. Auch die Familien von Petar und seiner Frau Dunja. Beide sind über 75 Jahre alt. Dunja kann sich kaum mehr bewegen, sie leidet an der Parkinsonschen Krankheit. Und Petar hatte noch kurz vor der kroatischen Offensive eine Operation hinter sich bringen müssen. Im Dorf ist ein Haus zerstört worden. Es wurde von den anrückenden kroatischen Truppen angezündet, erzählen sie. Ihnen passierte weiter nichts. In anderen Dörfern sollen aber alte Leute erschossen worden sein. Genaues wüßten sie jedoch nicht. Der Sohn und die zwei Töchter sind einen Tag vor der Ankunft der Kroaten mit ihren Familien geflohen und haben die Alten zurückgelassen. „Wir wären nur Ballast für sie gewesen.“ Es habe von seiten der serbischen Behörden der Krajina keinen direkten Aufruf zur Flucht gegeben, wohl aber habe es im Fernsehen geheißen, die kroatische Ustascha würde alle Serben umbringen, berichten sie. Die Kinder lebten jetzt in Vukovar, in Ostslawonien, das nach wie vor unter serbischer Kontrolle ist.

Nachbarn, alles alte Leute, haben sich dazugesellt. Seit einem halben Jahr besäßen sie nun die kroatischen Papiere. Es wäre nicht einfach gewesen, sie zu bekommen. Sie erhielten jetzt eine Rente von 1.000 Kuna (300 Mark). Sorgen machten ihnen aber die Leute, die von Split oder der Westherzegowina herüberkämen und ihr Hab und Gut stehlen würden. Sie schraubten die Nummernschilder ihrer Autos ab und kämen dann in das Dorf, meistens bewaffnet. „Dann nehmen sie sich ein Schaf oder ein Kalb und verschwinden wieder. Mir haben sie auch die Säge abgenommen“, klagt ein älterer Mann. „Wie damals, vor einem Jahr, als in vielen Dörfern Häuser brannten, macht die Polizei auch jetzt wieder beide Augen zu.“

Nicht in Knin selbst – alle diesbezüglichen Berichte von damals waren falsch –, doch wohl in den gemischten Gebieten und Dörfern südöstlich und nordöstlich der Stadt sind viele serbische Häuser abgebrannt. Es waren jedoch nicht kroatische Kampftruppen, die dafür verantwortlich sind. In den meisten Fällen waren es kroatische Nachbarn, Leute die 1991 vertrieben wurden und nach der Militäraktion in ihr Dorf zurückkehrten. Sie sahen die Ruinen ihrer eigenen Häuser. Und nahmen Rache an den Häusern ihrer serbischen Nachbarn, die sie für ihre eigene Vertreibung verantwortlich machten. Es kam auch zu Übergriffen auf Serben, die geblieben waren. Und es kam zu Plünderungen: Tausende von Autos fuhren damals von den kroatischen Küstenstädten in die von Serben verlassenen Gebiete, gingen in die Häuser, raubten Hausrat, Vieh, Traktoren. Die kroatische Polizei und die Armee drückten damals beide Augen zu. Im Februar allerdings wurden mehrere Plünderer aus Šibenik zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Bürgermeister Zvonomir Puljić in Knin kennt diese Klagen. Erst zehn Tage vor den Feierlichkeiten zum Jahrestag der „Befreiung“ wurde er von der Regierung in Zagreb in sein Amt berufen. Er möchte für die Tätigkeit seiner Vorgänger nicht verantwortlich gemacht werden. Doch er zeigt Verständnis für die Gefühle der kroatischen Bewohner angesichts ihrer Vertreibung 1991. „Die Polizei konnte nicht hinter jedem serbischen Haus stehen, dafür war das Gebiet zu groß.“ Mit seiner Amtszeit werde das Gesetz korrekt angewandt, verspricht er.

Die Rückkehr der Serben hält er aber für unwahrscheinlich. Und es wird auch klar, warum. Knin, die alte Königsstadt der Kroaten, werde nämlich zur kroatischen Stadt ausgebaut. Und umbenannt. In „Zvonomirgrad“, nach einem der mittelalterlichen Könige. In der kroatischen Stadt Zvonomirgrad haben, so könnte man schließen, Serben nichts zu suchen. Das sagt der Bürgermeister nicht. Aber es ist nur schwer vorstellbar, daß die Hürden für die Rückkehr der Serben abgebaut werden.

„Was hier stattfindet, ist ein sogenanntes ,ethnical engeneering‘“, heißt es bei den Hilfsorganisationen in Knin. Mitarbeiter des UNHCR weisen darauf hin, daß damit auch die serbische Vertreibungspolitik in Bosnien gerechtfertigt würde. „Die beiden Extreme schaukeln sich gegenseitig hoch und bieten sich gleichzeitig die Rechtfertigung für die eigene Politik.“ Das Ziel sei: ethnisch reine Staaten auf beiden Seiten.