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Das so gerissene Loch

■ Neue Lyrik von der Bremer Edelzunge Ulrich Nölle / Der Finanzsenator als Herkules und guter Schutzmann

Das so gerissene Loch hat alle pessimistischen Erwartungen übertroffen.

Mit diesem Paukenschlag, mit dieser streng rhythmischen, in ihrer Aussage kühnen und gleichzeitig rhetorisch zwingenden Passage beginnt der neueste Lyrikband des Bremer Dichters Ulrich Nölle. Wer hat bis heute gewagt, gerissene Löcher zu besingen!? „So“ gerissene Löcher! Löcher, die Erwartungen übertreffen. Immense Löcher also, unauslotbar für alle, die in Erwartungen fiebern, die sich Nölle nicht als „pessimistische“ zu brandmarken scheut. Der Leser, eingeschüchtert ob des fulminanten Beginns, duckt sich, verharrt angstvoll, da schleudert Nölle seinen nächsten Hammer: Eine schwer einzuschätzende Planungsgrundlage macht das Geschäft einer geordneten Haushaltsaufstellung beinahe zu einer Herkulesarbeit.

Gott sei Dank: nur „beinahe“! Der geniale Rückgriff auf die griechische Mythologie, quasi „nebenbei“ vollzogen, ohne Protzen und Bildungshuberei, weist Ulrich Nölle wieder einmal als eine der brillantesten Zunge des deutschen Sprachraums aus, ja als „Edelzunge“. Wie fein er hier, in dezentem Wiederauflebenlassen einer Welt als Augiasstall, auch von sich selbst erzählt, von seinen Leiden, seinen Nöten, seinen Kämpfen! Wobei sich das Ich des Autors hinter der subtilen Figur des „guten Schutzmanns“ verbirgt, der den Verkehr entsprechend dem jeweiligen Verkehrsaufkommen und daher anders als eine Ampel regulieren kann.

Der gute Schutzmann! Ein im besten Sinne partiarchaler Mythos, der hier beschworen wird, da ist nicht Angekränkeltes, nichts Schwaches, nichts Larmoyantes! Da wirft sich einer in die Brust. Und schießt aus der Hüfte! Denn feinste Ironie diktierte Nölle die Feder, als er das Bild von der „Ampel“ entwarf, der dumm und mechanistisch regulierenden. Nölle erinnert an eine längst vergessene Regierungsform, mit deren Hilfe phantastische Wirrköpfe in einer verflossenen Zeit dumm und mechanistisch regulierten, um zu scheitern. Hier handelt es sich wieder um einen Beleg, daß Ulrich Nölles Gesänge in der Historie gründen, um von dort aus die Zukunft zu umarmen. Kein Spaziergang (...) in einer globalisierten Welt ... ja das wird sie sein, unsere Zukunft. Die Welt wird in einen Zustand übergehen, den der Dichter als „globalisiert“ beschreibt, sie wird sich zur Größe eines Globus aufblasen, womöglich platzen, wenn weiter den falschen Prinzipien nachgejagt wird: Das St. Florians-Prinzip sparen ja aber bitte nicht bei mir kann nicht die Devise sein.

Der Titel des Liedes, das den Vortrag verlangt, jedoch auch und mit Gewinn gelesen werden kann, lautet zu Recht: „Auf gutem Weg“. Guter Schutzmann auf gutem Weg – da sollten die Augiasställe der globalisierten Welt erzittern. Da wird geputzt, geschrubbt, bereinigt: Dazu zählt inbesondere die Bereinigung des hoheitlichen Flickenteppichs in Bremerhaven.

Von Bremerhaven singen! Ein tönendes Wort: Bremerhaven. Sein perlender Klang, sein üppiger Reiz, seine sinistre Tiefe, ja Untiefe! Gegen Ende des Liedes verwandelt sich der Dichter zunehmend in den barocken Mahner, den Kanzelprediger, der auch harte Worte nicht scheut: „Sieben magere Jahre in unserem Land“ malt er mit Flammenschrift an die Wand: Wir stehen um es hier ganz klar zu sagen, am Scheideweg, um unser Land in eine optimale Ausgangsposition zu bringen.

Andere mögen sitzen am Scheideweg oder liegen, mögen an der Bar stehen oder in der Straßenbahn: Wir stehen am Scheideweg, um das Land in die optimale Ausgangsposition zu bringen. Das hat Verzweiflung, aber auch Größe. Wen dieses Lied nicht rührt, den rührt kein Lied.

Dank an den Senator für Finanzen und seine Stimme, den unbeschreiblichen Thomas Diehl, die die Herausgabe dieses Werkes ermöglichten, obwohl mediokre Sparbeschlüsse des Bremer Senats solche Publikationen zunehmend erschweren. Danke für den gedruckten Hinweis, daß die Publikation nicht als Wahlwerbung verwendet werden darf, dagegen zur Unterrichtung von Parteimitgliedern.

Wir wollen schließen mit einer Sentenz, die an Mao erinnert, von der aber dereinst, bei Mao entdeckt, gesagt werden wird: Sie erinnert an Nölle: Auch lange Märsche beginnen mit dem ersten Schritt.

Burkhard Straßmann

Der Senator für Finanzen: Auf gutem Weg. Haushaltsrede von Bürgermeister Ulrich Nölle in der Bremischen Bürgerschaft am 11. Juli 1996. Broschüre, Bremen, Juli 1996. Zu bestellen über Tel.: 0421-361-3336.

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