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Hingabe an den Wind

■ Die taz geht in die Luft (Teil 1): Im Heißluft-Ballon übers platte Land. Warum der Aeronaut Schweine fürchtet und Ballonfahren süchtig macht

ine Landkarte, tausendmal gesehen, tausendmal benutzt. Mit dem Fahrrad unterwegs, oder dem Motorrad: Da vorne an der Kreuzung geht's links rum, dann bis zur Ampel undsoweiter. Es gibt Momente, in denen die Dinge ihre Bedeutung verändern. Manchmal schreckliche Momente, manchmal ganz poetische. Das war ein poetischer. Du blickst auf die Landkarte, und plötzlich gibt es kein Linksrum und kein Rechtsrum, plötzlich gibt es keine Wahl mehr: Aha, da vorne ist die Kreuzung, aha, da sind wir also, und wie es weitergeht, und wie schnell es weitergeht, das weiß nur der Wind. Jetzt heißt es den Kopf einziehen. Die Höhe will gehalten werden. Der Brenner faucht gefährlich nah über den Köpfen. Und wer will schon Minipli riskieren.

Damals, als das Geld noch mit ehrlicher Arbeit verdient werden mußte, auf schwankenden Leiterkonstruktionen Tapetenbahnen in Bremer Treppenhäuser zu pappen waren – bloß nicht nach unten gucken. Damals, beim ersten Flug mit einer vergammelten Tupolew von Leningrad nach Hamburg – jetzt bloß nicht aus dem Fenster sehen. Kein Mensch hatte es für nötig gehalten, davon zu erzählen, daß es ganz normal ist, daß Tragflächen wackeln können. Weiche Knie, mulmiges Gefühl. Damals. Heute: ein schwankender Weidenkorb, mühsam am Boden gehalten, brüllende Hitze aus den beiden Brennerdüsen bläht die gigantische Nylonhaut. Ein paar Minuten ist es nur her, daß der Ballon noch als harmlose Wurst am Boden gelegen hat, dann von einem knatternden Ventilator halb entfaltet, dann von den Gasflammen gegen die Schwerkraft aufgehetzt, alle Muskeln angespannt, die Öffnung für die heiße Luft offenzuhalten, die Stahlseile zerren, dann – von wegen unendlich langsam – erstaunlich schnell strebt der Ballon nach oben, Korb und Brenner richten sich auf, die Crew spielt Ballast, und mühsam, mühsam läßt die heiße Luft sich bändigen.

Jetzt muß alles ganz schnell gehen. Jetzt einsteigen. Irgendwer hat von einer gewonnenen Ballonfahrt erzählt: Der Ballon steigt auf und ein paar hundert Meter später wieder ab, eine käseweiße Frau steigt aus, der Ballon steigt wieder, fährt weiter, und die Frau entläßt ihr Mittagessen auf die Wiese. Alles, bloß nicht das. Ein mulmiges Gefühl?

Den Bruchteil einer Sekunde nur. Als die Bodencrew losläßt, als der Brenner losbrüllt, unerwartet laut, und erstaunlich viel Hitze nicht etwa nach oben steigt, wo sie hingehört, sondern nach unten drückt und den Skalp versengen will, als dann doch unerwartet rapide die Gondel himmelwärts gerissen wird, das Auge ungewohnt schnell Höhe gewinnt: Wackelige Knie den Bruchteil einer Sekunde, mehr nicht. „Es ist, als ob Du im Wohnzimmer sitzt“, sagt der Kollege Alexander und beugt sich gelassen über den Korbrand. Recht hat er. In jedem Airbus, jeder 747, eingezwängt zwischen betont lässigen Freizeithemden und seriösen Zweireihern, instruiert von uniformiertenVorturnerinnen, die „mouth-pipe“ der „life-vest“ zwischen den roten Lippen – in jedem dieser Flieger herrscht mehr Angst als in diesem schwankenden Weidenkorb, der rasch die Erde unter sich läßt und sich ganz dem Wind anvertraut.

Dem Regensturm entgegen hatten wir fahren müssen und durch ihn hindurch, mit dem Geländewagen, den Ballon zusammengefaltet im Anhänger verstaut. Zeit genug, die Profis vom Bremer Aero-Club auszuquetschen.

Mulmig? Nur einen Sekundenbruchteil

Teuer, der Spaß? Ach was. Den Ballon bezahlt der Sponsor, und das Hobby kostet vor allem Zeit. Und dann von allen dieselbe Geschichte: einmal mit dem Ballon gefahren, dann eine gewisse Inkubationszeit, dann aber war es um sie alle geschehen. Warnung: Ballonfahren macht süchtig.

Eine Wiese direkt am Airport Ganderkesee. Keine fünf Minuten, und sie ist weit weg, irgendwo da unten hinten. 150 Meter unter uns zieht das norddeutsche Flachland vorbei. 150 Meter, das ist die Minimalhöhe, erklärt Hermann, unser Pilot. Wer zusammen im Korb steht, ist automatisch per Du. 150 Meter über Felder wie mit dem Lineal gezogen, über schnurgerade Wege, schmucke Bauernhöfe. Eine Herde Rehe sprengt durch die hochstehende Ernte in den nahen Wald, Kühe glotzen verständnislos nach oben.

Überhaupt, die Tiere: Kühe sind kein Problem, höchstens beim Landen. Da kommen sie nach der ersten Irritation gerne näher, um an der Ballonhülle zu lecken. Schafe – auch kein Thema. Die rotten sich zusammen und bleiben lieber auf Distanz. Aber Schweine – allerhöchste Vorsicht bei Schweinen. „Die sind so hochgezüchtet, die fallen um wie die Fliegen“, erzählt Hermann. Herzschlag, und da hält der Bauer gerne mal die Hand auf.

Höchste Vorsicht bei Schweinen

Das Schwein ist der natürliche Feind des Ballonfahrers, kommt gleich hinter den Telefondrähten und dem unerwarteten Stacheldrahtzaun. Kaum zu erkennen sind auch die Überlandleitungen, wenn sie genau auf der Linie der Ackerfurchen gespannt sind. Obacht.

Bauern winken. Ab und an quäkt das Funkgerät. Der Kontakt zu den Verfolgern im Wagen muß gehalten werden. Wer sich dem Wind hingibt, der bewegt sich in absoluter Windstille – darf aber in aller Höhenbesoffenheit um Gotteswillen nicht fragen, wie lange wir denn schon geflogen sind. Geflogen! Eine Todsünde unter Ballonisten. Ein Ballon fährt, er fliegt nicht. „Oder hast Du schon mal gehört, daß ein schiff nach Amerika geschwommen ist?“ Eben.

Die Höhe frißt das teure Gas. Erst eine halbe, dreiviertel Stunde gefahren, schon muß die erste Reserveflasche angeklemmt werden. Eine bleibt aber immer noch als eiserne Ration. Schließlich weiß niemand, ob beim Landeanflug nicht doch noch ein Hochspannungsmast übersprungen werden muß, oder die Landschaft nur aus ungemähten Feldern (teuer) oder Schweinekoppeln besteht (noch teurer). Oder ob möglicherweise der Wind für eine Zeit einschläft. Da kann man schon mal stundenlang über ein und demselben Waldstück hängen.

Es wird Zeit, der Tag geht zu Ende, und vor dem Sonnenuntergang muß jeder Ballon wieder am Boden sein. Wir sinken, immer wieder abgebremst durch den Brenner, aber doch schneller als erwartet. Klare Ansage: Die beiden Zeitungspassagiere haben jetzt den Blick nach vorne freizugeben. Klare Ansagen vom Start bis zum Verstauen der letzten Utensilien im Wagen. Ballonfahren ist wie Segeln. Einer hat die Verantwortung und das Kommando und es hat zu flutschen.

Graf Jochen, wißbegieriger Aeronaut

Es wird Zeit, 30, 40 Meter über Grund suchen wir eine geeignete Wiese. Die Felder, leider ungemäht, sind ganz nah. Gefährliche Leitungen glücklicherweise weit weg. Aber dafür steht vor einer prima Wiese direkt an einem Hof eine hohe Baumreihe. Die will erst überflogen, pardon, überfahren sein, bis Ballon und Korb und Brenner und Menschen ziemlich flott nach unten wegsacken können. Noch ein Stück, noch eins. „Und wenn der Korb umkippt: nicht aussteigen. Sonst rutscht er weiter, weil das Gewicht fehlt.“ Geht klar.

Sagen wir mal so: Es ist wie ein Sprung von einem Tisch. Bißchen locker in den Knien, und alles ist gut. Wenn da nicht die kleinen Windböen wären und der Stacheldraht, der gefährlich nahe kommt. Wenn nicht die Verfolger auf sich warten lassen würden. Der Ballon steht schief, der Korb rutscht, hopst noch ein wenig. Horst könnte bremsen, er müßte nur die Klappe an der Ballondecke ganz öffnen, die Hülle fiele in sich zusammen. Bloß daß sie dann im Stacheldraht hängen würde, und das kostet. Aber alles wird gut. Paar Meter vor dem Zaun kann er den Ballon stabilisieren, die Verfolger sind da, haben auch schon mit dem Bauern geredet, der das Schauspiel samt Familie vom sicheren Gemüsegarten aus verfolgt.

Die Journaille darf aussteigen und mithelfen, den Korb in sichereres Gelände zu ziehen. Brenner aus, Ballonkappe auf, der Korb kippt zur Seite, die Hülle sinkt schlapp zu Boden. Der Rest ist Einpacken. Und das geht bei einer geübten Crew schneller als Zelt-Abbauen.

Alles verstaut, der Bauer hat sein Entschädigungsfläschchen gekriegt und die Familie ist längst in Richtung SAT 1 verschwunden. Horst dichtet. Was wir schon ahnten: Jetzt haben die beiden Jungpiloten ehrfurchtsvoll niederzuknien. Ein Haarbusch wird angekokelt, mit Sekt gelöscht, Erde drübergestreut – und schon sind wieder zwei bürgerliche Leichtmatrosen der Lüfte in den aeronautischen Adelsstand erhoben. Darauf eine Flasche Schampus. Und ab sofort müssen sie ihre neuen Titel einwandfrei und auswendig dagersagen können, bei Strafe einer Flasche Schampus, wenn sie es nicht können. Wir können – äh, wie war das noch? Graf Alexander von Ganderkesee, eifrig photographierender Aeronaut, über dunstigen Wiesen und Feldern dahinfahrend und Graf Jochen, wißbegieriger Aeronaut im Luftraum über Prinzhöfte, auf einer Kuhfladenwiese bei Harpstedt landend. Jochen Grabler

Vom 16. bis 18. August veranstaltet der Bremer Verein für Luftfahrt am Werdersee das 4. Bremer Ballon-Meeting statt. Vorgesehene Startzeiten: am 16.8. ca. 18.00 Uhr; am 17.8. ca. 6.00 und 18.00 Uhr; am 18.8. va. 6.00 Uhr.

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