Die unbeschwerte Leichtigkeit des Transportwesens

Wind und Sonne bewegen die Wirtschaft in der Handels- metropole. Der avantgardistische Güterverkehr floriert. Ein Besuch in Utopia: sechster Teil der taz-Serie über die schöne neue Weltstadt Hamburg  ■ Von Florian Marten

it einem kaum hörbaren Surren rollt der erste Hybrid-Pickup, ein Solar-Kleinlaster mit Zusatzmotor, durch das Hecktor der deutsch-chinesischen Roll-on-Roll-off-Fünfmastbark Shanghai-Expreß. Ein stillvergnügtes Lächeln huscht über die gefurchten Züge von Thomas Albienz. Der gedrungene Südschwarzwälder, obwohl ein wenig wortkarg und mißtrauisch wie viele aus dem Hotzenwald, kann seine Zufriedenheit angesichts der Premiere des von ihm konstruierten Hybrid-Pickups kaum verbergen. In einer ungewohnt emotionalen Geste legt in diesem Moment Wirtschaftsstaatsekretär Helmuth Deecke seinen linken Arm um Albienz' Schulter.

Denn hier am Burchardkai wird heute, am 12. August 2010, wieder einmal Hamburger Wirtschaftsgeschichte geschrieben. Diesmal mit einem Segelschiff-Liniendienst Hamburg-Nordamerika in der zweiten Generation von Segel-Solar-Hybrid-Katamaranen, der einen völlig neuen Typus von Lastkraftwagen ins Mutterland der Trucks an den Großen Seen Nordamerikas exportiert. Das hielten vor 14 Jahren viele für noch völlig undenkbar, obwohl die heute eingesetzten Technologien alle schon Anfang der 90er bis zur Produktionsreife entwickelt waren.

Viel zu diesem Wunder beigetragen haben der süddeutsche Ingenieur Albienz und der Hamburger Wissenschaftler und Politbeamte Deecke, obwohl die SPD-Opposition und auch Wirtschaftssenator Ole von Beust die Ansiedlung von Albienz' „Hotzenblitz GmbH“ auf dem Gelände der stillgelegten Hamburger Stahlwerke an der Süderelbe kurz nach der Jahrtausendwende noch heftig bekämpft hatten. Mit Hilfe japanischer Lizenzen hatte die Hapag-Lloyd-Seeschifffahrt zusammen mit der Ökotech-Werft-GmbH in Shanghai die Wiederbelebung des Handelsschiffbaus ermöglicht, was in der Hansestadt zunächst überaus skeptisch beäugt wurde. Doch heute kommt selbst die Norddeutsche Zeitung, Hamburgs Schwester der Münchner SZ, nicht um eine Sonderbeilage herum, die den Automobil- und Werftstandort Hamburg sowie seine weltweit erfolgreichen Verkehrsinnovationen feiert.

Der Grundstein für diesen Aufstieg Hamburgs wurde bereits Ende der 90er Jahre gelegt, als sich die erste rot-grüne Koalition im Zeichen eines radikalen städtischen Sparprogramms und der Einführung einer europaweiten Energiesteuer auf eine grundlegende Wende ihrer Wirtschafts- und Verkehrspolitik verständigte. Zunächst wurde das Amt für Strom- und Hafenbau zu einer Stadt&Hafen GmbH privatisiert, die sich mittlerweile zu einer hochprofitablen Entwicklungs- und Verwaltungsgesellschaft gemausert hat. Auch die Berufung des pfiffigen Wirtschaftsvordenkers Theo Körner aus den Stuben der Senatskanzlei an die Spitze des städtischen Umschlagriesen HHLA hat sich bezahlt gemacht. Körner räumte radikal auf mit der alten Filzstruktur und dem Mief des Tonnen- und Hektardenkens, welches Hamburgs Hafenentwicklung jahrzehntelang schwer behindert hatte.

Inzwischen verfügt Hamburg nach Singapur und Hongkong, aber weit vor Rotterdam und den nordamerikanischen Häfen, über das modernste und effizienteste Umschlagsequipment im Containerumschlag. Zwölffach werden sie übereinander gestapelt, was kostbare Hafenflächen spart. Vollautomatische Van-Carrier und ein Schienen-Shuttle, der die Containerausweichflächen im Nordlogistikzentrum Maschen bedient, sorgen zusammen mit der ausgefeilten Container-Identifikations-Logistik, einem satellitengestützten Ortungssystem, für Umschlags-High-Tech vom Feinsten.

Im ehemaligen Fischereihafen von Altenwerder findet sich neben dem WissenschaftlerInnendorf der TU Harburg – Hamburgs Antwort auf Silicon Valley – längst der Binnenschiffhafen für die Elbe-Leichter. Die Elbe-Leichter, gebaut von Rainder Steenblocks Binnenschiffswerft , die sich auf dem stillgelegten Gelände des Kernforschungszentrums Geesthacht etabliert hat, verknüpfen jahrhundertealte Traditionen des Elbschiffbaus mit Mikroelektronik und neuen Werkstoffen. Der Steenblock-Werft gelang der eindrucksvolle Beweis, wie Schiffe sich den Flüssen anpassen, statt die Flüsse den Plänen von Großschiffskonstrukteuren zu unterwerfen. Die Leichtbauleichter, die auch bei 80 Zentimeter Wassertiefe noch volle Ladung tragen können, glänzen durch Solarzellenplanen, selbststeuernde Seitenruder und intelligente Mini-Strahldüsen, die das Schleppschiff bei Fahrt und beim Bugsieren kräftig unterstützen.

Nicht nur im Warenfernverkehr ist Hamburg mittlerweile ein weltweit beachtetes Vorbild: Ein feingesponnenes Netz „logistischer Knoten“ überspannt die Stadt. Die Güterbahnhöfe in Altona Kai, Altona, beim Hauptbahnhof sowie in Barmbek, Billwerder, Eidelstedt, Harburg, Langenhorn und Wilhelmsburg avancierten zu kompakten Güterverkehrszentren für regionale Güterzüge, Hybrid-Pick-ups und die Stadtbahn, die nachts aus dem Umland auch Gemüse und Obst zu den Wochenmärkten bringt.

Industriebetriebe, Handels- und Transportunterneh-men haben in der nun schon seit 1998 bestehenden Hamburger Güterverkehrsrunde, unterstützt durch die Behörde für Stadtentwicklung und Verkehr sowie die Wirt-schaftsbehörde, nicht nur Standorte, Fahrzeuge und Transportwege optimiert, sondern mit dem sogenannten „Hamburger Karton“ auch ein Norm-Kastensystem entwickelt, das die Vorteile des Containers endlich auch für den Stadt- und Regionalverkehr zugänglich macht: Das sechsstufige System „Hamburger Karton“ funktioniert nicht nur als Transportbehälter für praktisch alle Güter, sondern ersetzt sogar viele Verpackungen im Einzelhandel. Ob Waschpulver, Butter, Äpfel oder Badehosen – fast überall werden die Waren heute aus dem „Karton“ verkauft, dessen kleinste Größe, die immerhin 20 Liter faßt, gibt es aus beinahe allen Materialien – vom imprägnierten Holz über Stahlblech bis zu Leichtkeramik mit Kühlisolierung.

Hamburgs Straßen, die bis zu den Bürgerschaftswahlen 2005, Geburtsstunde der grün-schwarzen Koalition unter Krista Sagers Führung, noch von Diesel-LKW-Karawanen und PKW-Staus geprägt waren, bieten heute ein fröhliches Bild. Das liegt nicht nur an den RadlerInnen, Flaneuren, Stadtbahnen und Leichtmobilen, die den alten und kaum noch bezahlbaren Tourenwagen-PKW fast vollständig verdrängt haben, sondern vor allem auch an der Schließung von Einkaufszentren auf der grünen Wiese, die den Einkauf zu Fuß und per Rad wieder aufleben ließ. Dadurch wurden zudem Tausende neuer Arbeitsplätze geschaffen – auf einen vernichteten Großmarkt-Arbeitsplatz wurden zwei bis drei neue im dezentralisierten Einzelhandel geschaffen.

Für den restlichen Gütertransport sorgen die weiß-roten Pickups von „Haneliese“ und die rot-weißen Leichttransporter von „Hanelore“, welche mittlerweile gemeinsam Hamburgs Straßengüterverkehr fest im Griff haben. „Haneliese“, das Hamburger Netzwerk Lieferservice, ein Gemeinschaftsunternehmen des Hamburger Einzelhandels, der Wohlfahrtsverbände und von „das taxi“, ist für Einkäufe und kleinere Kuriertransporte im Großraum zuständig. „Hanelore“ dagegen, das Hamburger Netzwerk Logistik Regional, ein Netzwerk von Gemeinschaftsunternehmen des Transportgewerbes und der Wirtschaft, besorgt den Transport größerer Mengen und schwererer Stücke.

Noch unentschieden ist der Streit um die Zukunft des Hamburger Flughafens, der längst nur noch für Charter- und Frachtflüge genutzt wird. Während Helmuth Deecke für eine Schließung votiert, wollen Ole von Beust und die Handelskammer die Option auf einen Lufttransport per Schnell-Zeppelin offenhalten. Eine Delegation des baden-württembergischen Wirtschaftsministers Fritz Kuhn mit Fachleuten aus der Zeppelin-Schmiede in Friedrichshafen wird noch im September nach Hamburg kommen. Anschließend, so die Erste Bürgermeisterin Krista Sager zur taz, „werden wir entscheiden, ob Senat und Bürgerschaft die Volksinitiative zur Schließung des Flughafens verabschieden und damit auf die Einleitung des Volksentscheids verzichten können.“