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„Wir müssen mit der Kürzung leben“

■ Ab heute gilt die Kürzung im Schulbereich / In den Grundschulen im Bremer Osten herrscht Resignation / „Da wurde der Lehrermangel einfach weggekürzt“

Heute ist alles anders. Das erste Mal nach den Ferien klingelt der Wecker wieder früher. Das Pausenbrot wandert wieder in die Frühstücksdose – und der Schulbus fährt auch. Für 20.670 Bremer Kinder und rund 1.150 LehrerInnen beginnt in dieser und der nächsten Woche das neue Schuljahr. Noch haben sich ProtestlerInnen, die Ende des letzten Schuljahres vor allem in den Grundschulen im Bremer Osten wochenlange Schulstreiks gegen die Kürzung von Lehrerstunden-Zuweisungen anzettelten, nicht zu Wort gemeldet. Dafür ringen die Schulen mit der neuen Situation.

„Es gibt 1.024 Kinder mehr als im Vorjahr, aber 129 Lehrerstellen weniger“, sagt Ralf Struckmeyer. Finstere Berechnungs-Szenarien seien mehr oder weniger wahr geworden. Der Schulleiter der Hemelinger Grundschule Pfälzer Weg hat das auf ganz Bremen hochgerechnet: „Das sind 40 zusätzliche Klassen, die von elf Prozent weniger Lehrern versorgt werden sollen.“ Damit müsse man jetzt leben. Auch damit: „Ausländische SchülerInnen unterrichten wir jetzt nur noch in Deutsch für Anfänger.“

Drei Gruppen ausländischer Kinder, die an seiner Schule bisher extra Deutschunterricht bekamen – „abgedeckt durch zwölf Lehrer-Schulstunden im sogenannten Sonderbedarf“ –, müssen nach den Kürzungen jetzt sehen, wo sie bleiben. „Mangelnder Grundwortschatz kann durch Sonderunterricht nicht mehr ausgeglichen werden“ – ähnlich sieht es für ganz Bremen aus. Struckmeyer, zugleich Fachgruppenleiter „Ausländerkinder“ der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft weiß: Statt 50 Stellen für Extra-Sprachförderung gibt es nur noch 36.

Alles schlecht? Schlechter. Ja. Das bestätigt auch die Schulleiterin Eva Larisch aus der Osterholzer Grundschule Düsseldorfer Straße. Dort, in der Hochburg der Streikbewegung, fehlt noch eine Lehrkraft für 20 Wochenstunden; außerdem ist kein Ersatz für eine langfristig kranke Kollegin in Sicht. „Wenn jemand ausfällt, ist Ersatz so gut wie ausgeschlossen“, sagt auch Schulleiter Harald Bloch von der Osterholzer Grundschule Ellenerbrokweg. „So gesehen war der Streik höchstens einen Solidarisierungs-Erfolg.“ Er rechnet jetzt mit einer Schulstunde weniger je Klasse und Woche. Folge: „Wir werden mehr in Großgruppen arbeiten. Die Halbierung von Klassen, die Bremen einst ausgezeichnet hat, und die Kinder gezielt förderte, wird kaum noch möglich sein.“ Doch das ganz große Defizit hat ihm beim letzten Treffen Ende der Woche keine GrundschulleiterIn angezeigt.

Harald Bloch selbst muß allerdings einen Wermutstropfen schlucken: Zwei Integrationsklassen für behinderte Kinder können am Ellenerbrokweg nur noch auslaufen. Wie die Integrationsarbeit an seiner Schule, die zu den größten Grundschulen Bremens gehört, weitergehen soll, ist unklar. Im Sonderschulbereich schrillen deshalb die GEW-Alarmglocken: „Integrationsklassen laufen aus – und die fünfprozentige Kürzung der ambulanten Sprachtherapie bedeutet für die Thomas-Mann-Schule fast eine Halbierung der bisherigen Unterstützungsmöglichkeiten. Bei der Fritz-Gansberg-Schule schrumpft die Förderung um ein Fünftel“, sagt Martina Siemer vom Personalrat Schulen. „Die Kürzungen treffen die Sonderschulen ganz extrem.“

Und doch: rein rechnerisch haben die Grundschulen kaum noch Grund zum Klagen. „Der frühere Mangel wird ja jetzt durch die Kürzungen quasi kleingerechnet“, sagt Personalrätin Siemer. Einstellungen gab es vorhersehbar wenige: „15,5 Stellen wurden entfristet. Zwölf weitere Ein-Jahres-Stellen finanziert teilweise das Arbeitsamt.“

Aber Martina Siemer hat auch eine gute Nachricht parat: Der befürchtete „Verschiebebahnhof“, der Lehrer aus der Sekundarstufe eins oder zwei in niedrigere Schulstufen versetzen sollte, um dort den Mangel auszugleichen, fand kaum statt – und wenn, dann meist einvernehmlich. „Die KollegInnen waren unheimlich flexibel“, lobt Siemers. Die Zahl der Klagen gegen Versetzungen oder zwangsweise Stundenreduzierung sei minimal.

Die volle Übersicht über die Lage an den Grundschulen hat allerdings noch niemand. „Wir haben verläßliche Zahlen erst in vier Wochen“, sagt die Sprecherin der Bildungsbehörde, Erika Huxhold. Solange sei die Einordnung der I-Dötzchen schließlich vorläufig – „und weiß ich, wer noch in Pension geht oder krank wird?“

Mißtrauische Zeitgenossen munkeln unterdessen, die Bil-dungsbehörde feile schon an einer Erfolgsmeldung a la Tine Wischer. „Die hat uns ihr Kindergartenprogramm doch auch toll verkauft.“ Doch es gibt auch Lob für die Bildungsbehörde: „Ausnahmsweise stimmen diesmal alle Berechnungen“, sagt Schulleiter Bloch. Und andere lenken ein, nachdem die beleidigte Senatorin nach wochenlangen Schulstreiks Loyalität gefordert hatte: „Man muß den ganzen Senat für die Kürzungen verantwortlich machen, nicht eine Senatorin allein.“ ede

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