: Kulturrevolution beginnt im Badezimmer
Die Einmaligkeit der Secondhandbilder: Gudmundur Gudmundsson, genannt Erró, zeigt seine aus Pop-art, Madonnenkult, Matisse, Munch und Mao-Look zusammengesampelte Collagenmalerei im Wiener Palais Liechtenstein ■ Von Michael Stoeber
Noch immer ist die Liste der Künstler unbekannt, die Catherine David auf der nächsten documenta ausstellen wird. Zumindest aber weiß man, daß sie Arbeiten bevorzugt, die darüber reflektieren, wie Kunst und Ästhetik sich im Zeitalter von Werbung und Fernsehen definieren. Damit dürfte der 1932 als Gudmundur Gudmundsson in Island geborene und in Paris ansässige Erró, dessen Werke die Französin schon als Kuratorin am Centre Georges Pompidou betreut hat, unzweifelhaft ein Favorit für die Großausstellung sein.
Erró produziert Bilder, in denen sich Konsumwelt und Kunstgeschichte, politische Propaganda und Dokumentarfotografie vermischen. Motive wie Mao, Mondlandung, Madonnenkult und Mickymaus verbindet er zu komplexen Montagen, die wiederum im Stil von Henri Matisse oder Edvard Munch malerisch ausgearbeitet werden – Secondhandbilder von grandioser Einmaligkeit.
Sein Ziel ist die Analyse des ästhetischen und ideologischen Potentials medial vermittelter Bilder, seine Strategie die Verschränkung heterogener Motive; seine Originalität liegt im Übergang von Collage zur Malerei. Auch wenn Erró Bildthemen mit Hilfe eines Tageslichtprojektors bearbeitet, geht es nicht primär um Hyperrealismus. Vielmehr malt der Künstler, der als Student in Florenz Fresken restaurierte und den Pinsel entsprechend altmeisterlich führen kann, wie es die Komposition seiner Vorlagen verlangt.
Nach surreal geprägten Anfängen findet Erró in den sechziger Jahren zu seinem ebenso unpersönlichen wie unverwechselbaren Stil. In einem Gemälde der Bildserie „American Interiors“ sieht der Betrachter im sauberen Badezimmer eines amerikanischen Haushalts die schmutzige, barfüßige Gestalt eines vietnamesischen Partisanen, der gerade eine Granate zündet. Indem er die bürgerliche Reinlichkeit mit der Hinterlist des Revolutionärs konfrontiert, stellt Erró ein Bildklischee gegen ein anderes, so daß sie sich wechselseitig entlarven. Zugleich rührt er mit diesem Werk an kollektive Ängste der westlichen Welt vor der „gelben Gefahr“ wie auch an schematische Vorstellungen vom „chinesischen Modell“ in der linksintellektuellen Debatte jener Jahre.
Mao Tse-tungs Kulturrevolutionäre waren damals Vorbilder für jene europäischen Intellektuellen, die von einer ähnlichen politischen Rolle in der Gesellschaft träumten. In seinen „Chinesischen Bildern“ macht sich Erró in den siebziger Jahren über diese Vorstellungen lustig. Wenn Mao wie der Erlöser selbst über den Markusplatz in Venedig wandelt, als ginge er übers Wasser, oder wenn junge, glückstrahlende Chinesinnen vor dem Wiener Parlament ihre Parolen verkünden, findet die chinesische Kulturrevolution auf surrealen Historienbildern mitten in Europa statt.
Etwa zur gleichen Zeit arbeitet der isländische Künstler auch an der Bildserie „Made in Japan, China and Taiwan“. Hier kombiniert er Motive von Krieg und Gewalt aus Comics, Zeitungen und Fernsehen strategisch mit erotischen Darstellungen alter japanischer Holzschnitte oder Illustrationen zum indischen Kamasutra. Formal besonders beeindruckend ist, wie der schönlinige, elegante Pinselduktus östlicher Provenienz gegen den reißerischen, brutal konturierenden und kolorierenden Stift westlicher Bilderzählungen steht. Inhaltlich geht die Opposition von Liebeskunst und Kriegshandwerk weit über die platte Aufforderung des jugendbewegten make love not war jener Jahre hinaus. Die Verbindung von Sexualität mit Herrschaft und Gewalt vermittelt eindringlich, daß körperliche Begierden in politische Mechanismen hineinwirken.
Aber Erró hat nicht nur anhand von Bildern Geschichtsmodelle rekonstruiert. Er war von Anfang an auch ein obsessiver Szenarist, der in riesigen Formaten – manche länger als dreizehn Meter – den Betrachter mit unzähligen Varianten eines Konsumgegenstands, eines Gesichts, einer Comicfigur oder eines Stilmotivs geradezu überschwemmt. In einem beeindruckenden Domestizierungsakt zwingt er diese dabei immer wieder in rigide Bildstrukturen, zu denen er durch Renaissanceperspektiven ebenso wie durch futuristische Utopien oder virtuelle Welten angeregt wird. Die „Scapes“ sind mehr noch als andere Bilder Errós bis zum Bersten mit Bildfragmenten und Details gefüllt. Diese Überfülle ist sein Erkennungsmerkmal, als habe der Künstler einen Horror vor der leeren Leinwand. Gegen diesen Horror vacui sammelt Erró an.
Bis zum 8. September 1996 im Palais Liechtenstein, Wien
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