: Sein Leben lang dem Tribalismus treu geblieben
■ Ein Nigerianer auf Deutschland-Tournee: Chief Ojukwu – vom Biafra- Sezessionsführer zum Propagandisten der nigerianischen Militärdiktatur
Als der deutsche Bundestag am 20. Juni 1996 in einem einstimmig angenommenen interfraktionellen Tibet-Antrag China wegen seiner Menschenrechtspolitik verurteilte, schien es, als ob die deutschen politischen Verantwortlichen verstanden hätten, daß wirtschaftliches Interesse nicht auf Kosten der Menschenrechte vorangetrieben werden darf. Wenige Wochen danach zeigt sich, daß der hier angesetzte Maßstab nicht für alle Länder gilt. Im Falle Nigeria betreibt die führende Oppositionspartei, die SPD, genau die gleiche Politik, die sie der Bundesregierung in bezug auf China vorwirft.
Kürzlich besuchte Chief Odumegwo Ojukwu, Exmilitärführer im nigerianischen Biafrakrieg (1967–1970), Aachen auf Einladung der örtlichen SPD zusammen mit dem nigerianischen Botschafter. Ojukwu trat nicht nur bei der Aachener SPD auf, sondern besuchte auch das Auswärtige Amt und ließ sich im Spiegel interviewen. Nach Überzeugung der nigerianischen Opposition ist Chief Odumegwu Ojukwu beauftragt, internationale Solidarität und Unterstützung für die Farce der Demokratisierungsbemühungen des nigerianischen Diktators Sani Abacha zu gewinnen.
Wer ist Chief Ojukwu? Er ist der Sohn einer der ersten Millionäre Nigerias. Nach einem Studium in England ging er in die nigerianische Armee und wurde dort Oberst. Im Januar 1966, fünfeinhalb Jahre nach der Unabhängigkeit Nigerias, war er an dem Militärputsch von General Ironsi beteiligt, der das Ende der ersten demokratischen Republik in Nigeria bedeutete. Chief Ojukwu wurde zum Ministerpräsidenten der Region Ost-Nigeria ernannt – Ironsi und Ojukwu sind beide Angehörige des Ibo-Volks aus dem Osten des Landes. Einige Monate später stürzten unzufriedene Militärs aus dem Norden das Ironsi-Regime und ernannten General Yakubu Gowon, der aus dem Norden Nigerias stammt, zum neuen Staatschef. Oberst Ojukwu blieb Ministerpräsident Ost-Nigerias, jedoch akzeptierte er das neue Regime nicht, da er selbst Interesse an dem Posten des Regierungschefs hatte. Nach Gowons Putsch kam es zu Massakern an den in Nord-Nigeria lebenden Ibos. Aufgrund dieser Lage, der ständigen Auseinandersetzungen mit General Gowon und seiner eigenen Machtgier, entschloß sich Ojukwu schließlich, Ost-Nigeria unter dem Namen „Biafra“ aus Nigeria herauszulösen, um einen eigenen Staat unter seiner Herrschaft einzurichten. Er wollte dabei auch das Nigerdelta, wo sich der Ölreichtum Nigerias befindet, unter seine Kontrolle bringen.
Damals schon protestierte der – inzwischen hingerichtete – Menschenrechtler und Umweltschützer Ken Saro-Wiwa gegen die Einrichtung des Biafra-Staates, weil Ojukwu keinen Schutz für Minderheiten im Nigerdelta wie zum Beispiel die Ogoni garantierte. „Hätte Ojukwu klar gesagt, daß er die fortschrittlichen Nigerianer gegen die Reaktion vereinen wolle, hätte er Unterstützung in mehreren Landesteilen gewinnen können“, schreibt Ken Saro-Wiwa in seinen Kriegsmemoiren „On a Darkling Plain“. „Aber Ojukwu feuerte keine solche Vision an. Er verfolgte ein nacktes Machtstreben, und das Leiden jener Zeit war sein Steigbügel.“
1967 begann Ojukwu einen Krieg gegen den Staat Nigeria, der drei Jahre dauerte und Millionen Tote forderte. Als Ojukwu sah, daß er den Krieg verlieren würde, floh er in die Elfenbeinküste. Seinen Landsleuten sagte er, er wolle aus dem Ausland Waffen und Ausrüstung für die Weiterführung des Kriegs besorgen. Aber er selbst wußte, daß er nicht zurückkehren würde. Noch heute nennt man ihn in Iboland „Ogsoso One“ (der erste, der weglief). Der Krieg verursachte furchtbares Elend unter Ojukwus Landsleuten – an die Bilder der hungernden „Biafra-Kinder“ kann man sich in Deutschland wohl heute noch erinnern. Die Wunden dieses Kriegs sind in Nigeria noch immer nicht verheilt.
Als Ojukwo Anfang der achtziger Jahre aus dem Exil nach Nigeria zurückkehrte, wurde er sofort zum stellvertretenden Vorsitzenden der zu dieser Zeit regierenden Partei „National Party of Nigeria“ ernannt. Damals wurde über geheime Vereinbarungen zwischen ihm und der Regierung berichtet – so sollte er seine ganzen Eigentümer zurückerhalten, und für später wurde ihm der Posten des Regierungschefs versprochen. Als Gegenleistung sollte er Ibo-Stimmen für die Regierungspartei gewinnen. Das blieb jedoch erfolglos, woraufhin er die militante „Ikemba Front“ gründete. Diese Vereinigung wird verdächtigt, Anhänger anderer Parteien verfolgt und gar auf offener Straße erschossen zu haben. Man sagt zudem, sie sei auch 1983 an Wahlmanipulationen beteiligt gewesen. Ojukwu wird immer wieder von den wechselnden Regierungen Nigerias zu Werbezwecken eingesetzt. Er hat den demokratisch gewählten Präsidenten Moshood Abiola, der immer noch in Haft ist, als einen Kriminellen bezeichnet, und er begrüßte sogar die international verurteilte Hinrichtung Ken Saro-Wiwas im November vergangenen Jahres.
Während eines Deutschlandbesuchs im November 1995 im Auftrag des Abacha-Regimes sagte Ojukwu anläßlich einer Kundgebung in Bonn in Anwesenheit des nigerianischen Botschafters, daß Abacha versprochen habe, ihm 1998 die Macht zu übergeben. Seine Worte „This is the time for the Ibos“ (diesmal sind die Ibos an der Reihe zu regieren) führten zu lautstarken Protesten, denn diese Aussage eines sogenannten Staatsmannes widerspricht den jetzigen Bemühungen demokratisch denkender Nigerianer, den Tribalismus in der nigerianischen Politik zu bekämpfen. Als er seine Aussage in den Vereinigten Staaten wiederholte, schlug ihn einer seiner Landsleute in aller Öffentlichkeit ins Gesicht.
Chief Ojukwu gilt in großen Teilen der nigerianischen Bevölkerung als ein skrupelloser, machtgieriger, diktatorischer Mann. Es ist undenkbar, daß Ojukwu, der in Nigeria unvorstellbares Leid verursacht hat, in diesem Land irgendwelche positiven Veränderungen bewirken könnte. Die SPD mag keine ausreichenden Informationen über Ojukwu gehabt haben, jedoch allein die Tatsache, daß er von dem nigerianischen Botschafter in Deutschland begleitet wurde – also dem offiziellen Vertreter des Abacha-Regimes – hätte sie die Fragwürdigkeit dieses Mannes erkennen lassen müssen. Peter Emorinken-Donatus
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