: Ortstermin Klangraum
■ Aus Sonne wird Sound: "Somnambiente" - eine Großausstellung von Klanginstallationen in Berlin
Ein Hämmern, Dröhnen, Rauschen, Zischeln überall – das Zentrum von Berlin ist ein Ort, an dem es momentan besonders turbulent zugeht. Sie wissen schon: der große Umbau, die gigantische Baustelle. Was oft überhört wird: Es ist ganz nebenbei ein komplexes Klanggebilde. Wer darauf achtet, wird es nicht leugnen können. Die ganze Welt ist Klang, aber ist darum auch die ganze Welt schon ein Klangkunstwerk? Was, wenn überhaupt, unterscheidet die ordinäre Baustelle vom Kunstwerk?
Die Berliner Akademie der Künste versucht das Feld der Klangkunst neu abzustecken und verlieh ihrer jüngst eröffneten Ausstellung den Namen „Somnambiente“, was salopp mit „klingende Umgebung“ übersetzt werden kann. Über 40 Klangräume sind für sechs Wochen (bis 8. September) an zentralen und geschichtsträchtigen Orten der Stadt eingerichtet, ergänzt durch mehrere Dutzend Performances und eine Filmreihe. Über hundert KünstlerInnen sind beteiligt, darunter Laurie Anderson, Ulrich Eller, Rolf Julius, Christina Kubisch, der in Düsseldorf lebende Koreaner Nam June Paik, der kanadische Klangtüftler Gordon Monahan und Max Neuhaus. Im Berliner Prater im Bezirk Prenzlauer Berg wurde eine „Somnambiente-Bar“ eingerichtet. Weitere Veranstaltungsorte sind unter anderem das ehemalige Staatsratsgebäude am Schloßplatz, die daad-Galerie, die Staatsbibliothek Unter den Linden, die Parochialkirche in der Klosterstraße, Wolf Kahlens Ruine der Künste in Dahlem, das Kupferstichkabinett und das frisch renovierte Amtsgericht in der Littenstraße in Berlin-Mitte. Eine große Ausstellung der kleinen Kunst, von Gary Hills Video „Cut pipe“ bis Felix Hess' Arbeit „How Light is Changed into Sound“.
Klanginstallation ist eine Nischenkunst im buchstäblichen Sinne, sofern sie auf einen stillgelegten, akustisch gestaltbaren Raum angewiesen ist. Im günstigen Fall ist sie dann ein Spiel mit der Aura dieses Ortes. Und welche Orte wären stärker mit Geschichte, Geschichten und Assoziationen aufgeladen als Ruinen? Hans-Peter Kuhn inszeniert sein „Ballett der Töne“ im Ballsaal der Sophienhöfe, einem einstmals festlichen Saal von stattlicher Dimension in Berlin-Mitte. Jetzt zeugen einzig die gebogenen und rostigen Eisenträger von den abgestürzten Emporen, erinnern verkohltes Parkett, verrauchte Stukkaturen und blätternde Wandfarbe an die Vergänglichkeit allen Glanzes und Vergnügens – ein unwiderstehliches Memento mori.
Mit den Geistern der Vergangenheit ringt die Klanginstallation, eine mehrere Meter breite Klangbühne aus 32 nebeneinander aufgestellten Lautsprechern. Ganz unprätentiös tanzen kleine Geräusche, ein Sägen etwa, über die imaginäre Rampe, vollführen eine kurze Choreographie und treten wieder in die Stille ab. Es ist die merkwürdige Verbindung des Verfalls mit dem freundlich flutenden Tageslicht und den klaren, wohldefinierten Geräuschen, die einen eher poetischen denn schauerlichen Raum evozieren und den Sieg des Trostes über die Tristesse ausrufen.
Ebenfalls in den Sophienhöfen hat Paul Fuchs sein „Ballastsaitenensemble“ aufgebaut, eine eher instrumentale Skulptur. Ein Arrangement von übermannshohen Gestellen hält je eine große Trommel in die Höhe. An deren Felle sind Ballastsaiten – schlichte Eisendrähte – geknüpft, an denen freischwingende, etwa kindshohe Stangen aus massivem Messing hängen.
So einfach der Aufbau anmutet, die klangliche Wirkung ist erstaunlich. In dem Moment, in dem man es anfaßt, klingt das Instrumentarium zurück: Mit Metall geschlagen, singen die Stangen den sirenenhaften Obertongesang von Röhrenglocken, deren Klang durch den eigenen Pendelschwung von der Trommelmembran mit feinen Glissandi und Vibrati moduliert wird. Nur am Draht gezupft, erwacht eine völlig andere Sonorität: Eine lang getragene, unendlich lang und ruhig verklingende Tonwolke erfüllt den Raum und gibt ihm Tiefe und Volumen. Das breite Spektrum der Klänge, der einfache Aufbau des Instrumentariums, die Ökonomie des Gedankens verliehen der Instrumentalskulptur den Status des gelungenen Werks.
Bereits diese eine Lokalität läßt ahnen, daß der Besuch der Ausstellung zu einer Entdeckungsreise wird. Sie führt unter anderem in das ehemalige Postfuhramt Oranienburger Straße zu Felix Hess' „How Light is Changed into Sound“. Der gewählte Ort ist ein Zimmer: leer, unrenoviert, kahle Wände, das Fenster steht offen, die Sonne scheint herein. Auf dem Boden stehen, etwas auseinander, zwei Sperrholzkästchen, in denen sich ein Kleinstlautsprecher befindet. Darauf liegt ein Stein. Die Holzkästen sind durch ein Gespinst ädriger Drähte mit einer kleinen Lötarbeit aus elektronischen Bauteilen verbunden. Drei Sonnenkollektoren wandeln das einfallende Licht in Strom. Aus Sonne wird Sound. Das kleine, fragile Gebilde summt zweistimmig minimalistische Pattern aus Knarzen und Zirpen vor sich hin, schnell, wenn die Sonne scheint, langsam, wenn sie sich verschleiert. Ihre Poesie entfaltet die Zimmerinstallation durch ihr einfaches, aber bestechend schlüssiges Konzept, das aus der eleganten Umsetzung von sichtbaren Prozessen in parallele Klangereignisse besteht, indem sie Natur mit Technik kybernetisch koppelt.
Manche Klangkünstler wollen oder können mit dem Raum, der ihnen zugeteilt wurde, nichts anfangen und suspendieren ihn, heben ihn durch völlige Dunkelheit auf. An seiner Statt ist durch Beleuchtung und Diaprojektion ein zeit- und raumloser synthetischer Ort installiert. Gedämpfte Farben, fluoreszierende Muster, die sattsam bekannten Synthesizer-Streicher-Wolken illustrieren Brian Enos Konzept des „Generative Roomscape“, ein etwas bombastisch geratenes Schöner Wohnen mit noch schöneren Klängen. Das perfekte Ambiente für einen artgerecht eingerichteten Wartesaal mit ruhigstellender Wirkung. Ähnlich Laurie Andersons „Whirlwind“, ein Andachtsraum, in dem man unter eine Lautsprecherkanzel tritt, die von oben mit suggestiv-pathetischer Stimme Geschichten flüstert, ebenfalls unterlegt mit sedierend schwellendem Harmoniegesäusel. Dem Ohr auf Entdeckungssuche bieten sie ebensowenig wie dem forschenden Auge, hier ist Träumen und Selbstvergessenheit der Modus des Wahrnehmens.
Wie die wenigen genannten Beispiele andeuten, müssen sich viele und vielerlei Konzepte der Rubrizierung „Klangkunst“ fügen, denn der enzyklopädische Ehrgeiz der Veranstalter versucht, was sich an Kunstdisziplinen (Tanz, Theater, Architektur, bildende Kunst, Literatur etc.) und Medien (Licht, Video, Film, Computer, Computernetze, Sampler) durchdeklinieren läßt, beispielhaft zum Zuge kommen zu lassen. Allerdings wird der Anspruch der Grenzüberschreitung von nur wenigen Arbeiten tatsächlich eingelöst, allermeist reicht die „Multimedialität“ statt zur Synthese nur zur Addition und tendiert, gerade auf der „musikalischen“ Ebene, zur Eindimensionalität. „Klangkunst“ ist kaum mehr als der größte gemeinsame Nenner von allem, was irgendwie klingt, ein Sammelbegriff, der nicht eine Kunstform bezeichnet, sondern den Unterschied zwischen sehr verschiedenen Kunstrichtungen verwischt. Ein Diktum von Lawrence Weiner mag das hier praktizierte Prinzip benennen: „Viele farbige Dinge nebeneinander angeordnet bilden eine Reihe vieler farbiger Dinge.“ Fragen aufzuwerfen durch die Darstellung der Fülle von Möglichkeiten, die das Medium Klanginstallation bietet, ist ein Verdienst der Ausstellung.
Die Antworten darauf zu finden, bleibt – bis zur endgültigen Einordnung in die Kunstgeschichte – vorerst jedem einzelnen überlassen. Frank Hilberg
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