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Boris im Glück mit eigener Zeitung

Boris Feldmann gründete vor kurzem die erste russische Wochenzeitung, „Russkij Berlin“. Mit dem kompletten Verkauf der ersten Auflage ist sie aus dem Stand größte russische Zeitung in Deutschland. Dennoch will das Blatt nicht politisch sein  ■ Von Gunnar Leue

Turbulenzen schütteln den Markt der russischen Zeitungen. In Moskau, so hört man, stehe das altehrwürdige Sprachrohr der Kommunistischen Partei, die Prawda, endgültig vor der Verstopfung. Die Redakteure würden zuviel ins Wodkaglas schauen statt in die Weiten journalistischer Betätigungsfelder, klagen die griechischen Besitzer des Blattes.

Während die proletarische Zeitungslegende stirbt, setzte mutiges Jungunternehmertum zweitausend Kilometer entfernt eine neue russische Gazette in die Medienwelt. Seit Juni erscheint in der deutschen Hauptstadt Russkij Berlin, die einzige russische Wochenzeitung in der Bundesrepublik. Gegründet wurde sie von Boris Feldmann. Der 38jährige ist gelernter Journalist, arbeitete 15 Jahre bei der Rigaer Komsomol- Zeitung. Doch vor sechs Jahren konnten ihn nicht mal Glasnost und Perestroika halten. Sein Gehalt reichte kaum zum Leben, und als Jude wurde er mit zunehmendem Antisemitismus konfrontiert.

Ein Besuch bei Freunden in Ostberlin 1990 veranlaßte ihn deshalb, nach Deutschland umzusiedeln. Der kleine freundliche Mann mit den lustigen Augen machte erst mal das, was anscheinend alle Russen nach der Wende am meisten reizte: „Bissnes“. Bei Boris Feldmann war es ein Import-Export-Geschäft für Lebensmittel. Damit verdiente er das Geld, um sich doch noch seinen fast vergessenen Traum von einer eigenen Zeitung zu erfüllen. Ausgerechnet in Deutschland, wo die Einführung neuer Pressetitel aus Kostengründen selbst von Großkonzernen dreimal überlegt wird.

Boris Feldmann machte sich jedoch keine großen Gedanken. Einen Vorteil hat der Blattmacher: Er kennt seine Kundschaft ziemlich genau. Zu der gehören die rund 1,5 Millionen russischsprechenden Menschen in Deutschland, einschließlich der „Wolgadeutschen und der vielen mit Deutschen verheirateten RussInnen, die die offizielle Statistik gar nicht berücksichtigt“. Allein in Berlin, meint Feldmann, gebe es bis zu 100.000 Emigranten, russische Juden und deutschstämmige Russen, die dem Zeitungsmotto „Die russische Sprache als unsere Heimat“ folgen können. Damit sei Berlin die „größte russische Stadt in Deutschland“.

Da kennen sich natürlich viele untereinander, auch die fünfköpfige Redaktion einschließlich etlicher Honorarschreiber ist ein Familien- und Freundeszirkel. Zusammen werkeln sie in der Keithstraße in Tiergarten an einem Blatt, das nicht politisch sein will, sondern den Lesern vor allem Service („bißchen wie Zweite Hand“) und Unterhaltung bieten möchte. Obgleich Politik bei den Zeitungsmachern zurückhaltend behandelt wird, finden sich regelmäßig Korrespondentenberichte aus Israel, Amerika, Moskau oder dem Baltikum im Blatt. Gern läßt man auch russische Schriftsteller zu Wort kommen, künftig sollen sie in einer Literaturbeilage die Möglichkeit zum Publizieren erhalten. Rund 70 Prozent seiner Leser, erzählt der Chefredakteur stolz, seien Leute mit Hochschulabschluß.

Sein Blatt soll mal „so dick wie B.Z.“ sein, sagt Feldmann. Der Anfang ist gemacht, die Seitenzahl wurde bereits von 12 auf 16 erhöht. Russkij Berlin wurde mit einer komplett verkauften Auflage von 10.000 Exemplaren aus dem Stand zur größten unter den wenigen russischen Zeitungen in der Bundesrepublik. Auch die Anzeigenkunden schienen auf den Neuling nur gewartet zu haben. Selbst exquisite Ku'damm-Boutiquen und Grunewalder Sonnenstudios tummeln sich im Werbeumfeld von Reisebüros und Fluggesellschaften.

Der Erfolg läßt Boris Feldmann manchmal kühn weiterträumen. Beispielsweise von einer russischen Tageszeitung. In den 20er Jahren gab es in Berlin derer ganze drei, insgesamt sogar zehn russische Blätter. Doch das ist ferne Zukunftsmusik. Zu sehr noch kommt dem „Boris im Glück“ alles momentan wie ein Wunder vor. „Wenn ich mittwochs aus der Druckerei komme“, sagt er, „dann ist es immer komisch für mich. Weil es keine Zensur gibt.“

Ob aus Dankbarkeit dafür oder nicht, jedenfalls hat der Einwanderer schon einige deutsche Eigenarten angenommen. Statt Freunde spontan zu besuchen, rufe er jetzt „drei Tage vorher“ an. Nur eines hätten sie in der Redaktion noch nicht abgelegt: den im Kollektiv anschwellenden Sprachlärm. Deshalb baten die deutschen Nachbarn vor kurzem um etwas Geräuschmilderung. Überhaupt konnten sich die Belästigten gar nicht vorstellen, daß gerade Russen Tag und Nacht arbeiteten. Die Sorge sind sie bald los, die Redaktion zieht demnächst aus, weil sie mehr Platz braucht.

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