: Der taz-Sommerroman: "Dumm gelaufen" - Teil 29
Mit einem Säureanschlag aus Eifersucht. Mit einer Seekuh im Kühlsystem eines Atommeilers. Mit einem toten Baby in der Plastiktüte. Mit einem Weißen, der über Nacht schwarz wurde. Mit einer Familie, die sich vom eigenen Kot ernährte. Mit einem im eigenen Schweiß ertrunkenen Wanderer. Mit einem Leserwitz von Dieter Hennings aus Hamburg-Eppendorf. Der Religionslehrer fragt den Schüler, wie nennt man eine Handlung, bei der Wasser in Wein verwandelt wird? Weinhandlung, Herr Lehrer! Afram lachte nicht über diese Geschichten. Obwohl Geschichte muß sein. So war und ist und bleibt die Gesellschaft. Dieser Gedanke beruhigte Afram. Auch Afram machte weiter in seiner Geschichte. Unter dem strengen Auge seines Türspions standen Poller und Glatter, die Rentner vom Spielplatz, die Spielkameraden vom toten Herbert Schmackes. Ein geheimnisvoller Wahn schwamm sich in ihren Augen frei. Sie schienen in ihren Türkenkoffern eine unbestimmte Angst zu tragen. Oder Schuld. Glatter und Poller waren auf der Flucht wie Dr. Kimble. Afram spürte seine innere Unruhe. Die Unruhe warnte Afram. Aber die Neugier schlug die Unruhe samt der Warnung in die Flucht. Schließlich öffnete die Neugier von Afram die Tür unter bestimmten Vorsichtsmaßnahmen. Das Vertrauen ließ Glatter und Poller in Aframs Wohnung ein. Das Mißtrauen Aframs hielt die Rentner noch auf Distanz. Hallo, Herr Glatter und Herr Poller! Die Rentner vernickten sich. Wir haben Angst, Afram! Ja, Angst, Afram! Ihr habt Angst? Vor diesem Mörder! Ja, Mörder! Dem Mörder von Herbert! Dem Herbert Er wird jetzt mit Sicherheit alle Rentner in diesem Viertel killen! Alle!? Glatter glaubte wirklich, in diesem Moment von sich selbst verfolgt zu werden. Er versuchte sich abzuschütteln. Die Flucht mißlang ihm gründlich. Du hast ihn doch gesehen! behauptete Poller. Ich habe ihn nicht gesehen. Aber du hast am Fenster gestanden. Ich habe am Fenster gestanden, sagst du!? Sagen die Leute, Poller schluckte auf, und Kommissar Brook auch. Wenn es der Kommissar Brook gesagt hat, muß es ja wohl stimmen! Ja, ja, das ist die Wahrheit von der Wahrheit! Poller war gut drauf in Sachen Ausreden und so. Afram meterte sich Schritt um Schritt zu dem Fenster zum Tod. Und unten im Hof setzte sich das wahre Leben in Szene. Glatter und Poller rückten Afram nach. Das Leben ging schwanger. Mit einem Geheimnis. Mit einem Verbrechen. Mit dem Tod. Wie das Leben so ist und sich immer wieder spielt. Glatter, Poller und Afram lösten keine Eintrittskarten. Und der Dreh lief ohne like ice in the sunshine. Alles war wie ein Film. Unten. Im Hinterhof. Die Mülltonnen im Hintergrund spielten keine Rolle. Die Statisten. Eine Sandkiste. Ein Klettergerüst. Eine Bank. Die Komparserie: eine Abordnung Sperrmüll; Autoreifen, Kühlschrank, Fernseher. Aber es waren nur die Bilder von einem Autoreifen, einem Kühlschrank und einem Fernseher. Sie hingen sehr illustrativ an bunten Wäscheklammern in den Büschen. Die Nebenrollen blieben unbesetzt: Alle möglichen Augenzeugen waren zu einem Bier im Spätheimkehrer eingeladen. Klappe. Die erste Szene. Atmosphäre gleich Steinsamkeit. Und Afram sah den schwachen Schein einer Taschenlampe, deren Licht seinem Blick auswich. Sofort löschte sie den gelben Kegel. Schnitt. Poller und Glatter grinsten Sieg. Sie hatten eine Ahnung. Totale. Ranfahrt. Einige junge Männer hoben eine Leiche in seine Rolle als toten Mann. Aufblende. Carola, die Leiche. Ihr Kopf knickte über den Rand der Sandkiste ab. Wischüberblendung. Amerikanisch. Die Jungen rätselten vor der Leiche. Rücken zum Leser. Sie betteten den Rest des Toten auf die Betonplatten. Dann tatzten sie ab in die Dunkelheit. Nachts sind alle Brauns grau.
(Fortsetzung folgt)
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