: Der Ahnenkult
Teil 7: Der Ahne als Wandgemälde und wiederauferstandener Geist bei der Ethnie „Hanse-Politiker“ ■ Von Silke Mertins taz-Serie: Die Stammesriten der Bürgerschaft
Manchmal steht es da, das Stammesoberhaupt der Ethnie Hanse-Politiker, und man kann beobachten, wie er vom Geist seiner Vorfahren durchdrungen wird: Rück- und Weitblick tritt in die historisch verklärten Augen, er wirkt entrückt und der Name Helmut Schmidt entweicht seinen Lippen.
Der Hanse-Stamm ist seinen Ahnen überaus verbunden und scheut dabei keine Kosten und Mühen. Ein Stammesmitglied wird in dem Augenblick zum Ahnen, in dem er aus dem Stamm ausscheidet (Eigenbezeichnung: Pensionierung) oder ausgestoßen wird (Eigenbezeichnung: Rücktritt). Es besteht also kein Junktim zwischen Ahnenstatus und biologischem Ableben.
So kann es zuweilen sogar vorkommen, daß ein Stammesmitglied, das den Stamm verlassen hat und somit zum Ahnen wird, wieder zurückkehrt – eine Form der Wiederauferstehung, die die Ethnie der Hanse-Politiker wohl aus dem Christentum entlehnt hat. Neueste Studien haben ergeben, daß in diesen Fällen eine besonders intensive, clanübergeifende Ahnenverehrung stattgefunden hat. So liegt die Vermutung nahe, daß in einem aktuellen Fall ein einzelnes Senatsmitglied und das Oberhaupt des GAL-Clans in einer gemeinsamen Sitzung den Geist der Ahnin Krista Sager (GAL) so herzzerreißend heraufbeschworen haben, daß die Verehrte nun zurückkommt.
Die Hanse-Ethnie neigt beim Ahnenkult nicht – wie andere Stämme – zur Abstraktion. Stammesversammlungen, bei denen kleine Mengen Alkohol für die Ahnen auf den Fußboden geträufelt werden, sind bei den Hanse-Politikern unbekannt. Das mag daher kommen, daß die Vorfahren nicht in der Erde, sondern an den Wänden vermutet werden. Weil diese Ethnie glaubt, der Geist der geschiedenen Stammesmitglieder finde in den Gemäuern des Stammeshauses (Rathaus) seine letzte Ruhe, ist genau dort auch der Kult zu Hause.
Jedes Stammesoberhaupt (Eigenbezeichnung: Bürgermeister) wird zu Lebzeiten in Öl verewigt und posthum überall dort an die Wand genagelt oder geschraubt, wo man den Geist und Segen der Ahnen für besonders erforderlich hält: in den Gemächern des Häuptlings, in den Besprechungsräumen usw.
Noch sinnlicher hält man es mit den Zeremonienmeistern (Eigenbezeichnung: Bürgerschaftspräsident/in). Ihr Antlitz wird in Stein gemeißelt. Postmortal wird die Büste dann im Bürgersaal ausgestellt.
Während die Bürgermeister in früheren Zeiten in ihrer burgundisch-spanischen Amtstracht – die Karl der Kühne an die Elbe brachte – dargestellt wurden, ist der Häuptlingsschmuck heute Opfer der Verarmung geworden, worüber die Ethnologen sehr bekümmert sind.
Jedes einzelne Stammesmitglied pflegt seinen eigenen Ahnen. Ein Clanmitglied der GAL, Anna Bruns, erweist zum Beispiel einem ihrer Clangründer – ein gewisser Thomas Ebermann – die Ehre, indem sie „oft an ihn denkt“ und ihn „toll“ findet. Das Oberhaupt des CDU-Clans, genannt Ole von Beust, verehrt einen Ahnen, aus dem er hervorgegangen zu sein meint: Achim Helge von Beust, dessen Namen er sogar angenommen hat und der „ein liebevoller Vater“ gewesen sei.
Der Ahnenkult bei der Ethnie der Hanse-Politiker muß nach intensiver teilnehmender Beobachtung als Versuch gewertet werden, das universelle Bedürfnis des Glaubens mit der Notwendigkeit der Identitätsstärkung zu verbinden. Die gelegentlich auftretenden resurrektiven Tendenzen – wie die Fallstudien zu Krista Sager beweisen – sind dabei für jeden ethnologischen Forscher ein besonderer Leckerbissen.
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