■ Vorschlag: Neuer Tanz und LaLaLa Human Steps beim „Tanz im August“
Wenn die Zuschauer den Theatersaal betreten, tanzen die Tänzer schon. Sie tanzen auf völlig dunkler Bühne, und während man ihre Körper nur schemenhaft erkennen kann, hinterlassen ihre Bewegungen Lichtspuren im Raum. Der bildende Künstler VA Wölfl hat seinen acht TänzerInnnen Taschenlampen an Armen und Beinen befestigt, so daß sich ihre Ballett-Exercises in den Raum hinein verlängern. Ein regelrechter Feenwald aus Licht entsteht, und die Tänzer scheinen von einem anderen Stern auf die Bühne des Theaters am Halleschen Ufer geweht. Bis an die Schmerzgrenze werden die Zuschauer mit eigenen Wahrnehmungsmechanismen konfrontiert – sinnlichen Genuß gibt es nur in der Negation. Und so ist in VA Wölfls Choreographie „xyz – Bewegtes Opfer“, die im Rahmen von „Tanz im August“ im Theater am Halleschen Ufer präsentiert wurde, das Glück von kurzer Dauer. Schon bald beginnt eine elende, lange sechzig Minuten nicht enden wollende, mechanische Marschiererei.
Kaserne, Drillstation oder Schulhof? Rhythmisch stampfen die Tänzer über die Bühne, rhythmisch dribbeln sie rotschwarze Plastikbälle vor sich her, und wenn einzelne immer mal wieder ausscheren, hat das mit Freiheit nichts zu tun: Jede Bewegung ist erbarmungslos starren Ordnungsmustern unterworfen. Turnvater Wölfl hat alles unter Kontrolle. Doch auch wenn man diesen monotonen Bühnenvorgängen und leerlaufenden Exerzitien wenig abzugewinnen vermag: Das Spannungsverhältnis zwischen Spielerischem und Militärischem bleibt, trotz allen Überdrusses, in Erinnerung.
Ein Geistesverwandter von Schleef, sicher kein Epigone ist Wölfl. Und mag sich nach ziemlich harten, entbehrungsreichen Jahren auch langsam der Erfolg einstellen: Neuer Tanz gehört weiterhin zum Provokantesten, was die deutsche Tanzavantgarde zu bieten hat. Eine Gruppe, die man nur mögen oder eben nicht mögen kann, wie sich auch beim öffentlichen Kritikergespräch herausstellte. Niemand bezweifelt beispielsweise die ästhetische Qualität der Lichtinszenierung; nur waren die einen begeistert und die anderen, wie die Rezensentin, einfach furchtbar gelangweilt.
Ein Spiel mit der Dauer betreibt auch der kanadische Choreograph Douard Lock. Allerdings ein höchst ungewöhnliches. Lock paart Dauer nicht, wie üblich, mit Minimalismus, sondern mit hochkomplexen, unglaublich schnellen Bewegungen. „Wenn man die Augen, das Gehirn zwei Stunden lang regelrecht bombardiert, dann gibt es irgendwann eine Instabilität der Wahrnehmung“, sagt der Choreograph, der mit seiner Kompagnie LaLaLa Human Steps dieses Spiel seit nunmehr über fünfzehn Jahren betreibt. Legendär sind inzwischen die risikoreichen, aggressiven Bewegungsfiguren, das Anspringen des Partners und die gewagten Schraubsprünge, die Lock Anfang der achtziger Jahre kreierte und die niemand so virtuos vorführen kann (konnte ?) wie Locks Startänzerin Louise Lecavalier. In „2“, Locks jüngster, am vergangenen Wochenende im Rahmen von „Tanz im August“ im Hebbel-Theater präsentierter Choreographie, tanzen die Tänzer so besinnungslos schnell, so über alle Erschöpfungsgrenzen hinausgehend, daß man schließlich wünscht, sie würden endlich aufhören, dürften der Erschöpfung nachgeben, ausruhen. „2“ ist ein Stück über das Altern, und es ist wohl vor allem ein Stück über das Nicht-altern-Wollen, das Nicht- sterben-Wollen und Nicht-sterben-Können. Immer wieder stehen die Tänzer auf, treten zu neuen Duetten und – laut keuchend und vor Schweiß triefend – zu neuen, virtuosen Sprüngen an, fallen sich in die Arme, wirbeln sich in die Luft. Kein Ende finden kann auch Louise Lecavalier, der dieses Stück gewidmet ist. Auf zwei, den gesamten Bühnenraum umfassenden Leinwänden werden Bilder, die sie als junge Frau und als Greisin zeigen, projiziert. Darunter liegt träumend die Tänzerin. Kurze Ruhepausen für Lecavalier, die als Irrwisch, als Geist mit weiß geschminktem Gesicht regelrecht in ihre Bewegungen hineinfällt. Das letzte Bild zeigt Louise Lecavalier mitten im Sprung. Als das Licht verlöscht, befindet sie sich in der Luft, in einem ihrer virtuosen Sprünge, für die sie einst mit dem Bessie Award (dem Oscar für Tänzer) ausgezeichnet wurde. Michaela Schlagenwerth
„2“, mit LaLaLa Human Steps, heute, 20.30 Uhr, Hebbel-Theater
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