: Wenn Kumpels träumen
Dank Schiedsrichter Krug ist in Freiburg nach dem 3:2 gegen Bremen fußballerisch alles in Ordnung und nun auch der Kaffee politisch korrekt ■ Aus Freiburg Ulrich Fuchs
Nur wer selbst schon hinter dem Ball hergejagt ist, weiß um die Bedeutung dieses Ereignisses: Man hat in Mittelstürmerposition die Kugel am Fuß und noch 50 Meter bis zum gegnerischen Tor. Man sieht, daß auf halblinks der beste Kumpel in der Mannschaft den Angriff mitgeht, schiebt ihm und natürlich nur ihm den Ball in den Lauf, bringt sich 20 Meter vor der Kiste in Position und weiß, daß der Kumpel weiß, was man will. Und dann kommt das Ding, punktgenau, senkt sich, klar könnte man noch annehmen, aber volley, jetzt oder nie volley – und wie an der Schnur gezogen surrt der Ball in die Maschen. Mehr geht nicht im gewöhnlichen Fußballerleben, und viele warten vergeblich darauf, daß es nur ein einziges Mal passiert.
So flog Harry Decheivers Ball, den sein Spezi Alain Sutter vorgelegt hatte, nicht nur unwiderstehlich in den Kasten der Bremer, sondern weit hinein in die Welt der Fußballsehnsüchte. Selbst Schiedsrichter Hellmut Krug schien ein Einsehen zu haben und pfiff, ohne erst noch einen Anstoß ausführen zu lassen, unverzüglich zur Halbzeit. Weil Decheiver zuvor schon mit einem Abstaubertor erfolgreich war, stand zu diesem Zeitpunkt auf dem Freiburger Torekonto eine Zwei. Bremen? Null!
Traumhalbzeit, Traumtor – und sorgenvoll ging Freiburgs Trainer Volker Finke zur Kabine: „Fast schon zu gut“, gab er hernach zu Protokoll, war alles gelaufen: „Oft haben wir über sieben, acht Stationen kombiniert, und dabei geschickt gewartet, bis die Möglichkeit da war, den Ball in die Spitze zu spielen.“ Kollege Dörner („Wir haben in der ersten Hälfte viel zu passiv gespielt“) deutete beim analytischen Nachspiel nur dezent an, daß das hilflose Gegurke seiner Elf dem Freiburger Offensivwirbel freundlich zugearbeitet hatte. Konkreter wurde der Ex-Freiburger und Neu-Bremer Jens Todt: „Ich glaube, das sieht von außen manchmal ganz schön beschissen aus“, klagte er vor allem über mannschaftliche Koordinationsprobleme beim versuchten Pressing. Nicht weniger aufgewühlt war Bremens Torhüter Oliver Reck, dessen Empörung aber nicht dem Werder-Kick, sondern Krug galt: „Er war der schlechteste Schiedsrichter bei der EM, und hat das heute bestätigt.“
Weil das Publikum den Krug- Auftritt bis kurz vor Schluß nicht weniger kritisch sah, war nach der Traumeröffnung der ersten Hälfte im zweiten Durchgang die Hölle los. Dörner hatte mit Hobsch einen zweiten Stürmer auf den Platz geschickt, zweimal ging Hobsch in Zweikämpfen so zu Boden, daß Krug die Regeln verletzt sah, und zweimal traf nach den Schiri-Pfiffen Heimkehrer Herzog per Freistoß und Elfmeter zum schmeichelhaften Bremer Ausgleich. Nach 85 Minuten und zwei gelb-roten Kartons unterbrach ein dritter umstrittener Pfiff die mittlerweile hektische Partie – nur dieses Mal zugunsten der Freiburger: Wagner hatte aufs Tor geschossen und Ramzy den Ball gegen den Arm bekommen. Sutter verwandelte den Elfmeter zum Sieg, an dem es, wie Finke kommentierte, „nichts zu deuteln“ gab. Aber es herrschte Einigkeit in der Bewertung: „Der Schiri hat sich in der Situation wohl noch mal durch den Kopf gehen lassen,“ glaubte Freiburgs Libero Thomas Vogel, „was er vorher gepfiffen hatte.“
Trainer Finke, neuerdings Nichtraucher, und also nicht mehr der Mann mit den Selbstgedrehten, fand derweil schon wieder Zeit, drohenden Imageverlusten entgegenzuarbeiten. Beim SC Freiburg kündigte er an, „werden wir künftig fair gehandelten Kaffee trinken, für den die Kleinbauern in Lateinamerika mehr als den üblichen Weltmarktpreis erhalten“. Und während der Cheftrainer strahlend Kaffeepackung und political correctness präsentierte, zeugten die kreisenden Bierbecher draußen im Stadion davon, daß die Freiburger Fußballwelt um viertel nach fünf wieder in Ordnung war.
SV Werder Bremen: Reck - Scholz (70. Cardoso), Wolter, Ramzy - Pfeifenberger, Wiedemer (58. Hobsch), Todt, Herzog, Skripnik, Bode - Bestschastnich
Zuschauer: 22.500 (ausverkauft)
Tore: 1:0 Decheiver (24.), 2:0 Decheiver (45./Foulelfmeter), 2:1 Herzog (64.), 2:2 Herzog (75./Foulelfmeter), 3:2 Sutter (86./Handelfmeter)
Gelb-rote Karten: Wassmer (90.), Wolter (74.), beide wegen wiederholten Foulspiels
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen