: Einsame Erdlinge Von Mathias Bröckers
„Wir glauben, daß, wo immer dieser Meteorit herkommt, Leben existiert hat“, zitiert die New York Times die Wissenschaftler, die komplexe Kohlenwasserstoffmoleküle und Spuren fossiler „Lebensformen“ in einem Fundstück aus dem All entdeckt haben. Das war 1961, als ein Professor Nagy mit Kollegen an der New Yorker Universität den schon 1864 niedergegangenen Meteoriten Orgueil genauer unter die Lupe genommen und die organischen Verbindungen als „biologischen Ursprungs“ klassifiziert hatte. Dies entzündete eine über 14jährige wissenschaftliche Debatte, die erst 1974 mit dem Nachweis endete, das lebensähnliche Kohlenwasserstoffmoleküle auch durch kosmische Strahlung entstehen können. Seit die Nasa vorletzte Woche verkündete, in einem Meteoriten vom Mars chemische Spuren von Leben entdeckt zu haben, staunt die Welt mal wieder mit offenem Mund – und in der Wissenschaft lebt die Debatte von 1961 wieder auf. Denn auch bei „ALH84001“, so der Name des Marsbrockens, sind die Indizien keineswegs eindeutig. Die organischen Moleküle, die gefunden wurden, sind aus Asteroiden wohlbekannt und kein eindeutiger Hinweis auf Leben. Wenn die Spuren von bakterieller Aktivität, die die Nasa-Forscher entdeckt haben wollen, wirklich von Bakterien stammen, müßten diese hundertfach kleiner sein als alle bisher bekannten Bakterien. Kurzum: Von „Leben auf dem Mars“ kann nach der Examinierung von ALH84001 nicht die Rede sein. Bestätigt allerdings würde die „Panspermie“-Hypothese des Astronomen Fred Hoyle, nach der die Entstehung von Leben im Prinzip auf jedem Stern möglich ist, weil niedere Lebensformen – Bakterien, Viren, Sporen – durch Kometen und Meteoriten überall im Kosmos verbreitet sind. Treffen diese kosmischen „Samen“ [könnten ja auch Eier sein: Panovo, oder?, d. s-in] irgendwo auf geeignete Klimabedingungen, beginnt die Ursuppe zu köcheln, und Leben entsteht. Eigentlich ganz logisch, doch wurde Hoyles Idee bisher meist als „bizarr“ abgetan. Jetzt könnte sie erklären, warum die Planeten Mars und Erde in ihrer Kindheit so ähnliche Lebensformen hervorbrachten: Auf ihnen waren ähnliche Organismen ausgesät. Aufgrund günstigerer Bedingungen haben sie es auf der Erde geschafft, sich in drei Milliarden Jahren zu mehrzelligen Lebewesen zu entwickeln und von da an das Heft – wie Temperatur- und Sauerstoffregelung des Planeten – selbst in die Hand zu nehmen. Auf dem Mars scheint es soweit nie gekommen zu sein und, wenn überhaupt, fristen Reste fossilen Lebens dort in Tümpeln unter dem dicken Kohlenstoffeis der Marsoberfläche ein Schattendasein – einen lauen Frühlung werden sie, bei minus 23 Grad und 95 Prozent CO2 in der Luft, auf dem Mars nicht mehr ankurbeln können. Und doch gibt ihre mögliche Anwesenheit Anlaß, optimistisch zu sein: Wir kennen bisher Gesteinsproben von zwei Planeten, und beide enthalten Spuren von Leben: eine Trefferquote von 100 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, auch auf anderen Sternen Leben zu finden, ist also durchaus gegeben, auch wenn fortgeschrittene Lebensformen oder gar Zivilisationen nach wie vor als äußerst rar gelten müssen. Auch wenn wir Erdlinge einsam bleiben, einmalig sind wir deswegen noch lange nicht.
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