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Der Treppentrick

■ Weiterbildung in Sachen Partnersuche: Die Dokumentation "Herzjagd - Wege aus dem Singlefrust" (22.30 Uhr, West 3)

Singles, die in den Single-Shows der verschiedenen Fernsehkanäle auftreten, werden üblicherweise gecastet, das heißt auf ihre Kameratauglichkeit getestet. Sie sollen möglichst fit for fun aussehen, interessante Berufe haben und zumindest so eloquent sein, daß sie die vorgegebenen Gags glaubwürdig über den Schirm bringen.

Ganz und gar nicht diesem Fahndungsraster entsprechen die drei Singles, die in dem WDR-Feature „Herzjagd“ der Kölner Autoren Wolfgang Liessem und Martin Zorn gezeigt werden. Doch eine strenge Vorauswahl wurde auch bei diesen jungen Leuten getroffen, die per Kontaktanzeigen Anschluß suchen: Sonst wäre wohl nicht soviel exemplarisches Unglück für eine halbe Stunde zusammengekommen.

Michael, der dröge Bürobote mit Schnäuzer, wohnt noch zu Hause und träumt auf der schmalen Liege in der Küche der Eltern von einer Eigentumswohnung. Er arbeitet zielstrebig auf sein hundertstes Blind-Date hin.

Die Justizangestellte Alice kann sich dagegen nicht entscheiden, ob es mehr einer zum Reden oder einer fürs Bett sein soll. Antonio Banderas ist ihr Idol. Einen der Chiffre-Kandidaten verschreckt Alice gleich mit der Bemerkung, daß dessen Eau de Toilette zu „seifig“ rieche.

Und dann ist da noch der arbeitslose Schauspieler Frank („Ich bin Künstler“), der symbolischerweise nicht mal einen Dosenöffner besitzt. Er knackt den Pichelsteiner Fertigeintopf mit Hammer und Schraubenzieher. Trotz seiner äußerst schwabbeligen Hüften hat der 100-Kilo-Mann ein Selbstbewußtsein wie Stallone und sucht die Sharon Stone dazu.

Die Interviews mit den Singles und ihren Zielpersonen verlaufen auf weitgehend faire Weise; wenn jemand denunziert, dann tun es die Singles selbst. Daß das Team die Protagonisten zu den diversen Treffpunkten begleitet, geht auch in Ordnung. Fraglich nur, ob die versteckte Kamera sein mußte. Na ja, so mußte wenigstens nicht alles angestrengt inszeniert werden – wie etwa ein abgefilmter Hurenbesuch von Frank.

Wirklich der Weiterbildung dienen die vorgeführten Schliche und Kniffe, mit denen ein treffbereiter Single in Augenschein genommen werden kann, ohne ihn oder sie wirklich treffen zu müssen. Mit dem „Treppentrick“ oder der „Parkhausnummer“ sind bei Nichtgefallen keine zeitraubenden Small talks mehr notwendig.

Schwach an dieser Dokumentation ist jedoch, daß sie sich auf Heterosexuelle beschränkt und am Ende mit einem moralinsauren Fazit aufwartet: Angeblich haben die drei Singles zuviel „Anspruchsdenken“ drauf. Ein paar Fragen nach dem spielerischen Charakter der Blind-Dates zwischen Ego- Trip und Masochismus hätten nicht geschadet.

Dient der ganze komplizierte Liebesanlauf möglicherweise der Pflege bestimmter Gemütslagen? Ist das, bewußt oder nicht, ein Lebensstil? Vielleicht geht es bei der Partnerwahl per Kleinanzeige, einem strengen, kontrollierten Ritual, ja gerade darum, niemanden „Festes“ zu finden und sich eben nicht – wie das neudeutsch heißt – auf jemanden „einzulassen“. Hans-Hermann Kotte

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