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Ultimatum gegen Grosny

■ Massenflucht aus Tschetscheniens Hauptstadt. Lebed bezweifelt Beteiligung von Jelzin an der Entscheidung

Moskau (taz) – „Ich halte Gewalt für den einzigen Ausweg aus der Situation in Grosny“, sagte der Kommandeur der russischen Truppen in Tschetschenien, Konstantin Pulikowski. Am Montag abend hatte er den Rebellen ein Ultimatum gestellt. Sollten sie die Stadt nicht bis Donnerstag früh räumen, würde die Armee mit allen zur Verfügung stehenden Waffen die Freischärler angreifen. Die Zivilbevölkerung forderte er auf, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen. Ganz Grosny sei auf der Flucht, berichteten gestern Augenzeugen, nachdem Kampfflieger Vororte der Stadt bombardiert hatten. Die Kampfhandlungen genießen offenkundig die volle Unterstützung von Präsident Jelzin. Pulikowski verkündete das Ultimatum kurz nachdem Jelzins Sondergesandter Alexander Lebed von seinem Dienstherrn den Auftrag erhalten hatte, „das System von Gesetz und Ordnung wiederherzustellen“, das vor der Einnahme der Stadt durch die Freischärler bestanden habe.

Der Exgeneral meldete gestern Bedenken an: „Der Inhalt der Dokumente läßt berechtigte Zweifel aufkommen, ob der russische Präsident an der Endfassung des Ukas direkt beteiligt war.“ Versuche, die Order umzusetzen, würden die Friedensbemühungen torpedieren, heißt es in einer Stellungnahme des Sicherheitsrats, dem Lebed vorsitzt. Der Original-Ukas sei nur mit einer Faksimileunterschrift des Präsidenten versehen. Der tschetschenische Unterhändler, Kommandeur Aslan Maschadow, wandte sich mit der Bitte an Lebed, all seinen Einfluß zu nutzen, um den „nahenden Wahnsinn aufzuhalten“.

Derweil plant Boris Jelzin einen Urlaub im 350 Kilometer von Moskau entfernten Waldeigebiet. Unter anderem soll die Gegend wegen eines kardiologischen Therapiezentrums in Insiderkreisen empfohlen werden – ist der Präsident also doch ernsthaft erkrankt?

Das Verteidigungsministerium bestätigte gestern, daß ein Ukas in Vorbereitung sei, wonach Kommandeur Pulikowski von seinem in Zwangsurlaub geschickten Vorgänger Wjatscheslaw Tichomirow abgelöst werden soll. Tichomirow gilt zwar als ein Vertrauter Lebeds, aber auch als Bluthund. Klaus-Helge Donath Seite 9

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