piwik no script img

Mantra namens Sensationslust

„Bild“-Vize-Chefredakteur zeigt alte Zeitungen im Springer-Verlagshaus „zur Demütigmachung des heutigen Journalisten“  ■ Von Ulrike Winkelmann

Eine Vernissage im Foyer des Axel-Springer-Verlags ließ gestern ideologiekritische Herzen angesichts eines Exempels klassischer Antiaufklärung höher schlagen. „Der Mensch ist, wie er ist“, bzw. „es hat sich nichts geändert“, bzw. „das war damals so, das ist auch heute so“: Sahnestücke aus dem Seelenleben eines stellvertretenden Bild-Chefredakteurs, zu vernehmen, als Dr. Paul C. Martin die Ausstellung „Auch saget man warlich – 500 Jahre Zeitung, damals und heute“ vorstellte.

Martin hat die Ausstellung nicht nur initiiert und einige Exponate aus seinem Privatbesitz beigesteuert, sondern auch höchstselbst Texte dazu verfaßt, so daß Schautafeln und Katalog große Ähnlichkeit mit der Bild entwickeln.

Verblüffend in der Tat, wie wenig sich die Stilmittel schlechter Zeitungen seit 1514 – aus diesem Jahr stammt das älteste Stück und wahrscheinlich die erste gedruckte „Zeytung“ überhaupt – geändert haben: Kolorierung von Schwarz-Weißbildern sollen die harte Information schmackhafter machen (im Text heißt es zu solcher Schönfärberei: „Der Leser merkt nichts.“). Die „Wahrheit verschwimmt“ nur dort, wo der Spiegel (hierzu gibt's natürlich kein Springer-Exponat) ein Foto von Asylsuchenden bedrohlicher gestaltet, indem ihnen ein paar Polizisten vor die Nase montiert wurden.

Um uns den Kanzler näher zu rücken und das Regiertwerden zu versüßen, durften ihm Springerfotografen in sein „Allerheiligstes“ folgen, und um die historisierende Parallelisierung ad absurdum zu treiben, wird das Kohl-Portrait neben eine Zeichnung Martin Luthers in seiner Schreibstube gesetzt.

Zur Rubrik „Der große Moment“ sehen wir eine berühmte Illustration von 1522 zu den Bauernkriegen neben einem Foto von 1989 von fahneschwenkenden „Jungen Deutschen“ an der Berliner Mauer. Und so fort.

Der Anlaß zur Bild-„Zeitung“Werbeausstellung sei, so Martin, nicht nur der 450. Todestag Martin Luthers, sondern auch das Springer-Verlagsjubiläum (fünfzig). Luther, so muß man wissen, transportierte das von ihm mitgesteuerte Großereignis „Reformation“ zum großen Teil über das neue Medium „Zeitung“.

Einen „Beitrag zur Demütigmachung des heutigen Journalisten“ nannte Martin sein Werk bescheiden; klein und kleiner wurden die anwesenden VertreterInnen der unbedeutenderen Hamburger Medien wahrlich angesichts der Springerschen Geschichtsprägung.

Wissenschaftliche Unterstützung wurde Dr. Martin von Joachim W. Siener von der Baden-Württembergischen Landesbibliothek zuteil, der sich gerne zum Mantra des Meisters bekannte: „Der Mensch ist nun einmal sensationslüstern.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen