Durchs Dröhnland
: Wenn Vorgestern auch morgen ist

■ Die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Das zuckende Vakkum versuchen Wave noch mal zu erfinden; lassen ihre Sängerin die Björk machen und wabern vor ein paar Gitarrenwänden herum. Düster alles, schwer bedeutungsschwanger und so unterhaltsam wie ein Sehnenabriß.

Heute, 22 Uhr, Lindenpark Potsdam, Keller, Stahnsdorfer Straße 76–78

Die gute Nachricht: Dead Moon sind noch am Leben. Die noch bessere Nachricht: Sie hören sich immer noch genauso an. In diesen Zeiten, wo sich alles zu überstürzen scheint, das Heute ganz schnell zum Gestern wird, braucht es verläßliche Konstanten, an denen man sich festhalten kann. Zu wissen, daß auf der letzten Dead-Moon-Platte wieder stolz das Wörtchen „Mono“ prangt und daß das auch auf der nächsten so sein wird, kann ungemein tröstlich sein. Zu erfahren, daß das Vorgestern auch morgen noch da ist, gibt eine Sicherheit, die der Stimme von Fred Cole zum Glück abgeht. Immer noch kreischt und zittert er sich mit dünnen Stimmbändern viel zu hoch durch seine Garagensongs, die immer noch im heimischen Wohnzimmer aufgenommen werden. Immer noch zupft Ehefrau Toody den Bass und schreit hin und wieder dazwischen. Immer noch handeln die Lieder prinzipiell von Flüssen voller Kummer, Häfen voller Zurückweisung und ähnlich aufbauenden Dingen. Immer noch lädt der inzwischen 45jährige Cole die Jungspunde ein, auf seinem Grab zu trampeln. Auf der neuen Platte stellt er weniger frustriert als ans Durchhalten gewohnt fest: „Running Out Of Time“.

Die Chrome Cranks hinwieder haben ihre Garage erst vor kurzer Zeit bezogen, aber dafür haben sie sie ziemlich schnell eingesaut. Die digitale Aufzeichnung von Tönen ist nicht gerade für sie erfunden worden, dafür hören sie sich an, als würden sich sämtliche Sümpfe Louisianas zwischen den Rillen tummeln. Unterm Schlamm liegen sämtliche falsch gespielten Noten in der Geschichte Amerikas und mehrere Wagenladungen leergetrunkener Bourbon- Flaschen vergraben.

Morgen, 21 Uhr, mit Derryl Read & the Nightriders, Trash, Oranienstraße 40–41

Inzwischen vergeht keine Woche, in der uns nicht eine dieser Bands heimsucht, die eine der großen Plattenfirmen verpflichtet hat, aus Angst den deutschsprachigen Popzug zu verpassen. So was richtig Böses läßt sich dabei über die wenigsten sagen, auch nicht über Zucker. Die machen nette Melodien, klampfen ein wenig dünn und sehen freundlich aus. Das Trio singt erträglich blöde Texte z.B. übers „Fressen“ und bittet „Bring mich ins Heim“.

Morgen, 22 Uhr, Café Swing, Nollendorfplatz, Schöneberg

Brasilien hat mit Sepultura mindestens eine sehr gute Metal-Band hervorgebracht, und mit der Ankunft von Ratos de Poráo wird bewiesen, daß es auch eine lebendige Punk- Szene gibt. Die vier aus São Paulo existieren seit 1981 und sind zu Haus bei sich nicht unbekannt. Im Gegensatz zu den einschlägigen Anhängern des Immergleichen hierzulande versuchen Ratos de Poráo auch ein paar neue Einflüsse zu adaptieren. Death-Metal-Ausfälle sind dabei, aber meist denn doch Hardcore, alte Schule. Im letzten Jahr haben sie Punk-Klassikern die Ehre erwiesen. Das hieß „Feijoada Acidente“ und zeigte, daß man auch südlich von Panama weiß, wer Saints, Minor Threat, Black Flag oder Dead Kennedys waren.

Morgen, 21 Uhr, SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg

Ende der 70er meinte das US-Magazin Rolling Stone, James Chance sei „das Ähnlichste zu Johnny Rotten, was wir hier haben“. Recht komische Vorstellungen hatte das amerikanische Musikestablishment damals vom englischen Punkrock, denn Chance spielte Funk, Soul und Free Jazz und hielt dabei auch schon mal ein Saxophon in der Hand. Nur tat das der New Yorker mit in diesem Genre bisher ungesehenen Engagement und Wut. Und eines hatte er den Punks auf jeden Fall voraus: Er groovte. Vor zwei Jahren hat ihn Henry Rollins wieder ausgegraben, und James Chance & the Contortions sind wieder da, wenn auch mit einem etwas anderen Publikum. Keine verstörten Diskotheken-Besucher mehr, sondern Menschen, die zu würdigen wissen, daß hier einer der größten Einflußnehmer von John Zorn, Blondie oder Arto Lindsay am Werke ist. Die haben ihm denn auch bei seinem Comeback mit Gastauftritten unter die Arme gegriffen.

27.8., 22 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224

Früher einmal war Vernon Reid Hauptsongschreiber und Flinkfinger von Living Colour, jener afroamerikanischen Band, die schlauerweise versuchte, den Rock 'n' Roll zu seinen ethnischen Wurzeln zurückzuführen, und dummerweise dabei ein neues Zeitalter des Artrock einläutete. Seit der Auflösung der Band Anfang 1995 ist der Gitarrist allein unterwegs und kollaboriert mit jedem, der sich nicht wehrt. Auf seiner Solo-Platte machen mit: John Lee Hooker, Chubb Rock, Prince Paul, um nur einige zu nennen. Und auch wenn Reid zuletzt in alle denkbaren Richtungen (von Hendrix bis Free Jazz) experimentierte, bastelt er im Grunde genommen doch weiter an seinem Masterplan, dem Rock eine Bedeutung zurückzugeben, die er möglicherweise gar nicht mehr verdient. Dieses Unterfangen kann manchmal sehr anstrengend sein, hat aber auch allzuoft sehr erhellende Momente zu bieten. Diesmal wird Reid zusammen mit Elliott Sharp versuchen, neue Jagdgründe für eine aussterbende Spezies zu erkunden.

28.8., 21 Uhr, Tränenpalast, Reichstagsufer 17, Mitte Thomas Winkler