Leben auf der Drehscheibe

■ Klaus Pohls „Wartesaal Deutschland Stimmenreich“ zum Saisonauftakt im Ernst-Deutsch-Theater: Yves Jansens Inszenierung endet oft im Sozialkitsch

Was lieben Sie an Deutschland am meisten? Der Autor Klaus Pohl hat Stimmen und Stimmungen zu dieser Frage eingefangen und zu einem szenischen Bilderbogen montiert, in dem die Verlierer und die vermeintlichen Gewinner der Wiedervereinigung zu Wort kommen.

Arbeiter und Intellektuelle, Flüchtlinge und rehabilitierte Gefangene der ehemaligen DDR lassen ihr Leben vor und nach dem Mauerfall Revue passieren. Die westlichen Aufbauhelfer resümieren dagegen Ordnungsprinzipien und Arbeitsmoral ihrer Angestellten, die nun vom Kollektiv zu Kollegen geworden sind.

Ein westdeutscher Bürgermeister, der seine liebe Not mit den Umweltschützern hat, erzählt vom „Wiedervereinigungskaffee“, den die Stadt den ostdeutschen Gästen spendiert hatte, während eine Arbeiterin ihren Gedanken an jenes Nougat nachhängt, das, im Osten produziert und im Westen billig verkauft, via Weihnachtspaket wieder im Osten landete. Ein junger, in Deutschland lebender Engländer reißt Juden- und Türkenwitze, die man „mit jedem Ausländer“ machen könne, und schließlich bekräftigt ein betrunkener Werder-Fan, daß er seinen Club schon immer unterstützt habe.

All diese Stellungnahmen können nur dann glaubhaft vermittelt werden, wenn den Bühnenfiguren ein individuelles Profil, ein eigenständiger Hintergrund verliehen wird, vor dem die Subjektivität ihrer Äußerungen nachvollziehbar wird. Dem Ensemble – Monika Guthmann, Dorothea Kaiser, Anne Marks-Rocke, Ingo Feder, Peter Groß, Siegfried Kellermann, Ralf Komorr und Uli Krohm – gelingt dies zusammen mit Regisseur Yves Jansen leider nur bedingt.

Allzu oft werden die bekannten Klischees vom arrogant-geschäftstüchtigen Wessi und vom ewig betrogenen Ossi zitiert, allzu oft verliert sich die Inszenierung in purem Sozialkitsch, wo kritische Analyse gefordert wäre.

Es zählt jedoch zu den Glanzlichtern des Abends, wenn Dorothea Kaiser in der Rolle der Sängerin ihre Geschichte erzählt, sich dabei langsam abschminkt und gleichzeitig – verbal – in dieser Schlüsselszene die Gesellschaft demaskiert. Dann entsteht das Bild eines Volkes, das fremd ist im eigenen Land und sich – wie die Menschen auf der von Ausstatter Christian Steiof gestalteten zweigeteilten, ästhetisch sehr gelungenen Drehbühne – beständig im Kreis dreht. Ruth Epple