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„Wer was dagegen sagt, kriegt eins aufs Maul“

■ In Freizeiteinrichungen wird es immer schwieriger, mit Gewalttaten von Jugendlichen umzugehen, berichtet eine Betreuerin. Probleme insbesondere mit ausländischen Kindern

In einem offenen Kreuzberger Freizeitprojekt ist kürzlich ein Mädchen von mehreren türkischen Kindern bedroht worden, unter anderem mit einem Messer. Es sollte einem der Jungen, einem 13jährigen, „einen blasen“. Wenige Tage später schlug derselbe 13jährige ein anderes Mädchen in der Freizeiteinrichtung mit einer Baseballkeule, weil ihm etwas nicht gepaßt hatte. Der Junge ist strafunmündig und kann für seine Taten nicht belangt werden. Der Fall ist in seiner Kraßheit ein Einzelfall. Aber er verdeutlicht, mit welchen Problemen ethnisch gemischte Kreuzberger Kinder- und Jugendprojekte zunehmend zu kämpfen haben. Dazu ein Gespräch mit einer in dem Projekt tätigen Betreuerin. Der Name wurde von der Redaktion geändert.

taz: Haben sich die Auseindersetzungsformen unter den Kindern und Jugendlichen in der Freizeiteinrichtung verändert?

Marlies Menge: Die Situation der türkischen Jugendlichen hat sich sehr verschlechtert, und ihr Verhalten ist aggressiver geworden. Dies ist für die anderen Kinder, aber auch für uns Betreuer sehr bedrohlich. Das Beängstigende ist, daß es für viele Kinder selbstverständlich geworden ist, mit einem Messer oder körperlicher Gewalt bedroht zu werden. Kinder, die das nicht in Ordnung finden, müssen Schiß haben, daß sie selbst Opfer werden, wenn sie den Mund aufmachen.

Gibt es einen Unterschied im Verhalten der türkischen und deutschen Gruppen?

Man kann nicht von zwei Gruppen sprechen. Bei deutschen Kindern existiert das Phänomen „Bandentum“ einfach nicht so. Die deutschen Kinder tauchen manchmal zu zweit oder zu dritt mit ihren Freunden auf. Aber nicht zu fünft, sechst oder acht, wie dies bei den türkischen Kindern und Jugendlichen regelmäßig der Fall ist. In Konfliktsituationen kommen ganz schnell zwei- oder dreimal so viele türkische Kinder zusammen.

Steht ein Pädagoge solcher Gewalt machtlos gegenüber?

Machtlos nicht. In dem speziellen Fall haben wir sehr viel unternommen. Voraussetzung dafür ist aber, daß man zu allen Kindern Kontakt hat. Die Kinder, die bedroht werden, müssen das Gefühl haben, daß sie sich den Betreuern anvertrauen können. Mit den Kindern, die die Gewalt ausüben, muß man als Sozialarbeiter unbedingt eine Auseinandersetzung führen.

Ist dies denn noch möglich?

Man muß es auf jeden Fall immer wieder versuchen. Aber es kann bedeuten, daß man es nicht nur mit den Freunden des Kindes zu tun bekommt, sondern auch mit der gesamten Familie, die das Kind deckt. Durch diesen Schutz der Familie wird nach außen hin alles gerechtfertigt, was das Kind macht. Egal was es getan hat, auch wenn es noch so schlimm und mit Waffengewalt war. So ist es auch bei dem Jungen in dem konkreten Fall gewesen. Andere Kinder, die als Zeugen aussagen wollten, wurden von der Familie und den Geschwistern des 13jährigen regelrecht bedroht. Wer was dagegen sagt, kriegt eins aufs Maul.

Das hält doch auf die Dauer kein Sozialarbeiter aus.

Man fühlt sich als Betreuer in einem Projekt mit Kindern und Jugendlichen verschiedener Nationalitäten bisweilen schlichtweg überfordert. Es ist wichtig, daß andere Stellen mit einbezogen werden. Wir haben nach dem Vorfall Kontakt zum Jugendamt, einer Therapieeinrichtung, einem Streetworker-Projekt und der Clearingstelle der Polizei aufgenommen. Denn das Ganze hat Ausmaße angenommen, wo unsere pädagogische Ausbildung allein nicht mehr ausreicht. Interview: Plutonia Plarre

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