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Saat für soziale Gerechtigkeit

Gärtner helfen Sozialhilfeempfängern, sich in der Bay-City selbst zu versorgen: Auf früheren Geröllhalden bauen sie Biogemüse an  ■ Aus San Francisco Ingo Malcher

Ein zehnspuriger Freeway führt direkt an den Haustüren des „Alemany Housing Projects“ im Süden San Franciscos vorbei. Die BewohnerInnen der weinroten Sozialwohnungsbauten müssen täglich den Lärm und Gestank von Tausenden Autos der Berufspendler ertragen. Jeder zweite, der hier lebt, ist arbeitslos. Der nächste Lebensmittelladen ist zwei Blocks entfernt: ein Liquor-Shop, bei dem es unbegrenzt alkoholische Getränke gibt.

Hinter den Häusern wird auf einer Fläche von gut vier Fußballfeldern biologisches Gemüse angebaut. Knoblauch, Kartoffeln, Salat und Obstbäume wachsen in einer der wärmsten Gegenden der Stadt. „Wegen des milden Klimas können wir hier die Dinge anbauen, die sonst niemand in San Francisco anbauen würde“, sagt Gärtner Daniel Green und zeigt auf die Olivenbäume am Fuße eines Hügels. Eine frischgepflanzte Hecke soll den Garten einmal vor den Abgasen des Freeways schützen.

Der Garten in Alemany ist einer von rund 40 Gärten in San Francisco, die von der „San Francisco League of Urban Gardeners“ (SLUG) angelegt und betreut werden. Noch vor zwei Jahren war er brachliegendes Land, das höchstens als illegale Müllhalde diente. Doch es geht nicht nur um Landschaftsverschönerung oder um eine Freizeitbeschäftigung für Jugendliche. Der Garten versorgt die AnwohnerInnen kostenlos mit Biogemüse. „Wenn am Monatsende die Essensgutscheine der von Sozialhilfe abhängigen Familien ausgehen, kann ihnen der Garten helfen, über die Runden zu kommen“, sagt Joshua Bloom, Mitarbeiter von SLUG. Denn ohne die knappbemessenen Gutscheine gibt es keine Lebensmittel.

Unter einem zweistöckigen Freeway inmitten eines Industriegebiets zwischen Autowerkstätten und Schlossereien ist das Hauptquartier von SLUG. Vor dem blaßgrünen Gebäude wachsen Geranien und Lavendel. Doch das fällt kaum auf. Die ehemalige Maschinenhalle könnte genausogut eine Lackiererei beherbergen.

In dem holzvertäfelten Büro hängen die Grundsätze der städtischen GärtnerInnen an der Wand. Sie lesen sich wie die einer Dritte- Welt-Hilfsorganisation. Der Unterschied ist, daß SLUG inmitten eines der reichsten Länder der Erde arbeitet: „Die San Francisco League of Urban Gardeners ist eine Graßwurzelorganisation, die Communities und Individuen die Möglichkeit zu Bildung und Arbeit verschafft. Unsere Garten- und Begrünungsprojekte säen die Samen von sozialer Gerechtigkeit, Gemeinschaft, wirtschaftlicher Entwicklung und ökologischer Nachhaltigkeit.“

Als SLUG im Jahre 1983 gegründet wurde, war es eine reine Gärtnergruppe. Heute arbeitet die Organisation vor allem in Sozialbausiedlungen. Unter Mitwirkung der AnwohnerInnen legt sie dort neue Gärten an, „denn sie sollen in einen solchen Prozeß miteinbezogen werden“, sagt SLUG-Chef Mohamed Nuru. Die AnwohnerInnen können dann selbst bestimmen, wie der Garten bei ihren Häusern aussehen soll. Nach diesen Vorgaben entwerfen die Landschaftsarchitekten von SLUG am Reißbrett die Pläne, die in öffentlichen Versammlungen vorgestellt und diskutiert werden. Danach wählen die BewohnerInnen einen der ihren zum Gartenverantwortlichen. Diesem wird ein Ratgeber in die Hand gedrückt, in dem nachzulesen ist, wie die Grundzüge des biologisch-organischen Landbaus lauten und woher er günstiges Saatgut bekommt.

In den Gärten sieht Nuru „eine Möglichkeit, daß Menschen ihre Lebensmittel teilen“. Wie im Alemany Housing Project liegt die Arbeitslosigkeit in den anderen Sozialhilfeghettos mindestens bei 50 Prozent. Doch die Organisation bietet mehr als nur kostenloses Biogemüse. Bei SLUG können sich die BewohnerInnen solcher Siedlungen zum Gärtner oder zur Landschaftsarchitektin fortbilden. Dabei arbeiten sie immer in ihrer eigenen Umgebung. „Viele Leute haben unterschiedliche Sachen in ihrem Leben zu tun. Wenn jemand fünf Tage in der Woche Zeit hat, bei uns zu arbeiten, dann arbeitet er eben fünf Tage und wenn jemand nur zwei Tage Zeit hat, dann kommt er eben nur an zwei Tagen“, sagt Nuru.

Das Geld für die Projekte von SLUG kommt aus der Stadtkasse. Anstatt eine Landschaftsgärtnerin anzuheuern, erhält SLUG die Aufträge, die Grünanlagen der Sozialbausiedlungen zu pflegen. Für diesen Job stellt SLUG die BewohnerInnen der Häuser ein, womit sie gleichzeitig Zugang zu den Fortbildungsprogrammen haben. „Es ist ein Kreislauf, den wir herstellen. Wir haben nicht nur ein einziges Ziel“, erläutert Nuru die Vielschichtigkeit seiner Organisation.

Bald wird es auch einen Laden geben, in dem die Produkte aus den SLUG-Gärten angeboten werden. Die BewohnerInnen der Alemany-Häuser züchten Blumen, um sie nachts in den Bars und Restaurants zu verkaufen. Es ist wenig Geld, das für sie dabei herausspringt. Aber immerhin etwas. Und, so sagt Nuru, „die Leute wollen wirklich etwas tun. Sie haben nur normalerweise keine Möglichkeit dazu“.

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