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Die Straße der Windmühlen

■ Die spanische Gruppe „Mal Pelo“ als Straßenbewohner beim Sommertheater

Eigentlich mögen sie sich, die Bewohner der „Calle del Imaginero“, aber wirklich zueinander finden sie nur selten. Annäherung scheint in dieser spanischen Straße so schwierig wie wünschenswert, das Spiel mit der Distanz so unvermeidbar wie doch spannend. Die Suche nach dem eigenen Raum im Raum der anderen bedarf vorsichtiger Schritte.

In der Morgendämmerung behauptet eine Frau ihren Platz, erst testend, dann gleich einer Windmühle. So phantastisch schnell wirbeln ihre Arme, so lang scheinen sie dabei zu werden, daß die ganze Straße von ihren Flügeln eingenommen ist. Einer traut sich doch am Rand zu tasten, ein anderer folgt seiner Wünschelrute und sieh da, kein Flügel verletzt sie. Behutsam geht man miteinander um, beobachtet sich, sieht wie die Wünschelrute nur zu einem Wasserrohr führt. Enttäuschungen und Täuschungen gibt es auch in dieser Straße, Neid und Spott sind Antrieb und Lohn mancher Begegnung. Zwei Männer bemerken sich und signalisieren in spiegelnden Bewegungen Vertrauen. Stärke wird nicht länger vorgetäuscht, Körperspannung aufgegeben. Gefährlich? Der eine verläßt die Straße als Hund des anderen.

Zwischen zwei Häusern aus rohem Holz können die Bewohner verschwinden, aus und auf ihnen auftauchen. Die Fassade wird Kirche und Klohaus, wie ein Adventskalender öffnen sich Fenster aus anderen Welten. Aus manchen kann ein Balkon werden, andere scheinen nur darauf zu warten, einen beim Ausbruchsversuch zu fesseln. Eine Stange gibt einem Bewohner die Möglichkeit, wie ein Vogel an der Wand zu sitzen. Fast immer hat er ein Federvieh bei sich; virtuos auf dem Kopf oder im Käfig auf dem Rücken. Er bleibt allein. Seine Blumen will niemand haben. Mit Dartpfeilspitzen muß er sie versehen, damit sie wenigstens neben der Frau im Holz stecken bleiben – bevor sie von einem Konkurrenten verdaut werden.

So skurril und stark sind die Bilder von Mal Pelo leider zu selten. Alltägliche Begegnungen hat Choreographin Maria Muñoz zu einem Stimmungsbild mediterranen Lebens komponiert. Vertraute Situationen werden durch den Focus neu, aber bleiben nah. Geschichten, die sich in Auswahl und Aneinanderreihung auch gegen Beliebigkeit behaupten müssen und diesen Kampf nicht immer gewinnen. So sehr manchmal der nächste um die Ecke biegende Besucher der Straße Freude und Überraschung ist, so selten erstaunen seine Bewegungen. Kreisende Gliedmaßen sind ein durchgängiges Bewegungselement. Die Chance der harmonischen erzählerischen Grundstimmung durch körperliche Aggressivität eine zweite Ebene zu geben, wird selten genutzt. Spannung erhält die Produktion da – neben der Musik zwischen balinesischer Folklore und Michael-Nyman-Anklängen – eher von der Kombination realistischer Abbildung und Abstraktion. Die Selbstverständlichkeit dieses Nebeneinanders läßt brüchige Bilder voll Ironie entstehen. Aber zu wenige.

Matthias von Hartz

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