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Sonntags keine Brötchen Von Mathias Bröckers

Die Bäckerei um die Ecke hat neuerdings auch am Sonntagmorgen geöffnet und verkauft Brötchen. Für Wirtschaftsliberale und Unternehmerverbände mag dies als Zeichen gelten, daß die „Deregulierung“ der Wirtschaft im Gang ist – für uns, denen die Pappschrippen dieses Bäckers schon an Werktagen selten schmecken, ist die neue Freiheit kein großer Gewinn. Und ob sie für die Bäckerei wirklich Gewinne abwirft, muß sich noch zeigen, denn anders als an Werktagen ist trotz des seit Wochen einladenden Schilds: „Jetzt auch sonntags frische Schrippen!“ Sonntag früh im Laden ziemlich tote Hose. Das mag an der Macht der Gewohnheit liegen, sonntags eben mit Brot oder Toast zu frühstücken, die gar niemanden auf die Idee kommen läßt, morgens Brötchen zu holen. Wenn sich das aber erst einmal durchsetzt, wird der Bäcker auch nicht viel davon haben: Durch den Sonntagsverkauf wird er zwar ein paar Brötchen mehr los, dafür verkauft er freitags und samstags aber weniger Brot und Toast. Womit die sonntägliche Pappschrippe von nebenan den ganzen Deregulierungsaufschwung als gigantische Milchmädchenrechnung entlarvt: Nur weil die Bäckerei jetzt auch sonntags geöffnet hat, wird deshalb zum Frühstück nicht mehr konsumiert. Wie auch der gesamte Handel nicht mehr umsetzt, nur weil die Läden länger geöffnet haben. Wäre dem so, könnte man einen ökonomischen Aufschwung einfach dadurch erreichen, daß die Geschäfte rund um die Uhr geöffnet sind.

Entscheidend für den Konsum sind aber nicht die Öffnungszeiten, sondern die Kaufkraft. Wer täglich Schnittbrot von Aldi spachteln muß, weil er sich frische Brötchen nicht leisten kann, ist von der Aufhebung des Sonntagbackverbots nicht betroffen. Und wer die neue Waschmaschine tagsüber nicht bezahlen kann, kann es am langen Donnerstag genausowenig. Wenn also der Handel durch die längeren Öffnungszeiten kaum mehr Umsatz macht, wo sollen dann die vielbeschworenen „neuen Arbeitsplätze“ herkommen? Wie lange wird der Bäcker an der Ecke sich die zusätzliche Sonntagsaushilfe leisten können, wenn sein Umsatz gar nicht steigt, sondern sich nur statt auf sechs nun auf sieben Tage verteilt? Letztlich wird das Ganze dazu führen, daß er keine zusätzliche Verkaufskraft mehr einstellt, sondern seine regulären Verkäuferinnen nun eben auch sonntags ran müssen.

Aus der frühen Kindheit ist mir ein Plakat in Erinnerung, das einen Jungen mit seiner Familie und dem Spruch zeigte: „Samstags gehört Vati uns!“ Ende der Fünfziger galt die Abschaffung der Samstagsarbeit als großer Fortschritt, und es ist grotesk, daß uns politische Faselköpfe heute den Rückfall hinter diese Errungenschaften als große Modernisierung verkaufen wollen. Die Neuauflage des Plakats könnte so aussehen: „Mama und Papa arbeiten abends und am Wochenende, und ich gucke Brutalo- Videos, weil mein Dealer im Knast sitzt...“ So etwas nennt man heute „Standort“-Sicherung bzw. „Flexibilisierung“ der Arbeit. So flexibel soll sie werden, die Arbeit, daß der Unterschied zwischen Tag und Nacht, zwischen Werktag und Sonntag nivelliert wird. Kein Feiertag, kein Sabbat, kein Wochenende – das zeichnet den idealen Standort aus. Brötchen rund um die Uhr, aber niemand, der noch Zeit hat zu genießen.

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