"In der PDS hat sich vieles angestaut"

■ Gregor Gysi findet, die derzeitige Debatte über das Demokratieverständnis der PDS sei eher zufällig über die Partei gekommen. Trotzdem sei sie besser auf die kommende Berliner Republik vorbereitet al

taz: Die PDS-Führung erweckt im Moment den Eindruck, als hätte die Partei alle Zeit der Welt, ihr Selbstverständnis zu diskutieren. Die jetzige Strategietagung hat aber deutlich gemacht, daß sich die Spitzenpolitiker der Partei, also Sie, Bisky und die Landeschefs, bereits entschieden haben: Die PDS will und wird im Osten mitregieren. Machen Sie Ihren Mitgliedern etwas vor?

Gregor Gysi: Die PDS kann und will über die Regierungsbeteiligung gar nicht allein entscheiden.

Aber sie will mitregieren.

Wir haben nur gesagt, daß an uns notwendige gesellschaftliche Veränderungen nicht scheitern werden. Mit anderen Worten, wir entlassen SPD und Grüne nicht durch eine reine Nein-Option aus ihrer Verantwortung.

„Veränderung beginnt mit Opposition“ hat sich die PDS auf ihre Fahnen geschrieben. Muß der Spruch jetzt ergänzt werden: „...und endet in der Regierung“?

Veränderung beginnt tatsächlich mit Opposition, weil sie Kritik, Infragestellungen und alternative Vorschläge herausfordert. Unter anderen Bedingungen können Veränderungen durch Regierungsbeteiligung realisiert und beschleunigt werden.

Die PDS streitet immer noch heftig über die Äußerung von André Brie. Sie haben diesen Streit als Beginn einer neuen Diskussion über das Selbstverständnis der PDS bezeichnet. Ist diese Debatte gewollt oder zufällig über die PDS gekommen?

Sie ist eher zufällig über uns gekommen. Jede Partei, auch unsere, hat ein gewisses Harmoniebedürfnis. Da muß erst provoziert werden, damit bestimmte Auseinandersetzungen stattfinden.

Es hätte also keine Debatte gegeben, wenn Brie dem Stern kein Interview gegeben hätte?

Dann hätte irgendein anderer ein Interview gegeben, oder die Forderungen von außen an uns wären immer massiver geworden. Oft ist ein Anstoß von außen notwendig, um zu bemerken, daß sich in der eigenen Partei etwas angestaut hat, das geklärt werden muß.

Ist die Auseinandersetzung in der PDS aus dem Stadium der Befindlichkeitsdebatte schon heraus?

Nein. In ganz Deutschland wird vordergründig auf der Basis von Befindlichkeiten diskutiert. Warum sollte das in der PDS anders sein?

Diese Auseinandersetzung ist seit Jahren immer wieder gefordert worden, wurde aber nie bis zum Ende ausgetragen. Die Parteispitze hat sich nicht getraut, sie hat taktiert. Auf diesem Weg ist die PDS in den letzten Monaten bewegungsunfähig geworden.

Ich weiß gar nicht, ob das ein Taktieren der Parteispitze ist. Es ist eher eine innere Schwierigkeit, darüber zu reden. Wir haben gar nicht überlegt, ob wir uns das leisten können.

Wir haben es mit einem komplizierten Prozeß zu tun: Die Sicht auf die DDR hat sich in der ostdeutschen Bevölkerung generell verändert. Damit ist die Gefahr einer Verklärung verbunden und damit wiederum das Denken in den alten Alternativen. Ein Beispiel: In der DDR wurde mir immer erklärt, daß soziale Sicherheit die Einschränkung bestimmter Rechte und Freiheiten zur Folge hat. Heute wird mir gesagt, Freiheit setzt voraus, daß es eine soziale Sicherheit in dem von mir verstandenen Sinne nicht geben kann. Auf diese Alternative – entweder Arbeit und dann keine Freiheit oder Freiheit und dann keine Arbeit – dürfen wir uns nicht einlassen.

Im Moment schottet sich die PDS eher ab. Die Partei schließt die Reihen gegen Brie. Verbaut sie sich damit nicht ihre Perspektive, denn die ist doch ohne die von Brie geforderte Auseinandersetzung nicht zu haben?

Stimmungen in der Partei verändern sich sehr schnell. Nachdem es sehr viel Kritik an Brie gab, gibt es mittlerweile mehr Kritik am Umgang mit ihm. Wir werden sehr schnell zu der inhaltlichen Auseinandersetzung kommen, da bin ich ganz sicher. Nur, so einfach, wie André Brie vorgibt, wird es nicht. Man kann doch nicht sagen, hier ist PDS-Mitglied A, der paßt nicht in die Partei, dort ist Mitglied B, der Reformer an sich, und nun entscheidet euch zwischen den beiden. Die von Brie zu Recht beklagten Reste des administrativen und zentralistischen Denkens stecken doch in jedem von uns, auch in mir, und die müssen wir überwinden.

Aber im Prinzip unterstützen Sie Bries Grundforderungen.

Meine Kritik an ihm besteht nicht nur darin, daß er genauer hätte formulieren müssen und weniger drohen sollen. Solche formalen Fragen sind auch inhaltliche Fragen. Ich teile nicht Bries Unterscheidung der PDS in Alte, die den Modernisierungskurs ablehnen, und Junge, die diesen befürworten. Ich weiß, daß André Brie das eigentlich auch nicht so schematisch sieht.

Seine Äußerung über das positive Verhältnis zum Grundgesetz und zur parlamentarischen Demokratie ist mißverständlich. Er meint es in einem philosophischen Sinne, im Hegelschen Sinne, wie er selbst sagt: ein positives, Veränderungen einschließendes, konstruktives Verhältnis, das auch meint, Verantwortung für die gesamte Bundesrepublik zu übernehmen, nicht nur für den Osten. Da stimme ich mit Brie überein. Das Problem ist, daß er seinen Satz als philosophische Sentenz stehenläßt, die durch jeden zu mißbrauchen ist. Man könnte seinen Satz auch so interpretieren: Die PDS habe ein negatives Verhältnis zum Grundgesetz und zur parlamentarischen Demokratie, und das auch noch im Unterschied zu allen anderen Parteien. Dabei hat in diesem von Brie gemeinten Sinne noch keine Partei in Deutschland ein positives Verhältnis zum Grundgesetz und zur parlamentarischen Demokratie. Die PDS hätte die größte Chance, ein solches zu entwickeln.

Warum die PDS? Sie hat doch die größten Schwierigkeiten damit. Die meisten in der Partei sind mit beidem nicht großgeworden.

Das stimmt. Aber die Gesellschaft verändert sich. Die Bonner Republik geht zu Ende, die jetzt kommende Berliner Republik hat andere Rahmenbedingungen, härtere, unangenehmere. Der bisherige gesellschaftliche Kompromiß, der starken sozialdemokratischen Charakter trug, ist in Frage gestellt. Der Staat soll nach dem Willen der Herrschenden an sich keine soziale und kulturelle Ausgleichsfunktion mehr haben. Die Instrumentarien der Bonner Republik beherrschen die etablierten Parteien fast perfekt. Aber auf die Berliner Republik sind wir besser vorbereitet.

André Brie will die PDS für Poststalinisten unerträglich machen. Sie haben das immer abgelehnt. Jetzt haben Sie aber erklärt, die PDS müsse Grenzen ziehen. Sie haben für den nächsten Parteitag Veränderungen am Statut angekündigt, um die Rolle der Plattformen und Arbeitsgemeinschaften klarer zu definieren. Ist das der Versuch, die Kommunistische Plattform auf demokratischem Wege kaltzustellen?

Nein. Es geht darum, daß wir heute noch nicht einmal genau zwischen Plattformen, Arbeitsgemeinschaften und Interessengemeinschaften unterscheiden können. Es ist ungeklärt, wer was darf und nicht darf. Wir müssen verhindern, daß sich bestimmte Strukturen verselbständigen, daß jeder im Namen der Partei spricht.

Aber Sie haben was gegen die Kommunistische Plattform.

Ich bin für eine Kommunistische Plattform in der PDS, aber ich will eine andere als die jetzige. Im Gegensatz zu Brie möchte ich den Streit innerhalb der Kommunistischen Plattform provozieren: Die sollen sich doch mal äußern, was sie eigentlich wollen und auf welche Tradition sie sich gründen: auf die Kommunisten, die Kommunisten ermordet haben, oder auf die Kommunisten, die von Stalin ermordet worden sind? Die jetzige Kommunistische Plattform beschäftigt sich nur noch als ideologischer Wächter der Gesamtpartei, und das nervt mich.

Das Entscheidende ist am Ende immer, was sich in einer Partei durchsetzt, und das ist eine Frage der inhaltlichen Auseinandersetzung. Es wird in der PDS immer Gruppierungen geben, mit denen andere Parteien ihre Schwierigkeiten haben. Aber von denen werden wir uns deshalb nicht trennen.

SPD und Bündnis 90/Die Grünen werden von der PDS aber genau das immer wieder fordern.

Das können sie ruhig tun. Aber unsere Angelegenheiten regeln wir gern selbst. Ich kann die Bedenken und die Berührungsängste in diesen Parteien in bezug auf die PDS ja verstehen, und die PDS muß auch dazu beitragen, daß diese Ängste abgebaut werden. Auf der anderen Seite ist diese Haltung nicht gerade politikfähig. Wir können doch nicht ewig uns selbst und unsere eigene Befindlichkeit zum Maßstab machen. Es gibt in diesem Land sechs Millionen Arbeitslose. SPD, Bündnisgrüne und PDS sollten lieber darüber reden, was sie gemeinsam dagegen tun können. Wir machen unsere Zusammenarbeit mit der SPD ja auch nicht vom Seeheimer Kreis abhängig. Interview: Jens König