: Hamburg setzt auf Gentechnik
Umstrittenes Zentrum für molekulare Neurobiologie in Eppendorf eingeweiht ■ Von Marco Carini
Acht Jahre lang mußten die Gehirn-ForscherInnen in provisorischen Pavillons auf dem Gelände der Eppendorfer Uniklinik arbeiten. ProfessorInnenstellen konnten wegen der Raumnot nicht besetzt werden. Doch damit ist es jetzt vorbei: Nach jahrelangem Gerangel um den Standort konnte das 72,4 Millionen Mark teure Zentrum für molekulare Neurobiologie (ZMNH) in der Rekordzeit von zwei Jahren fertig gestellt werden. Gestern nahm eine der umstrittensten Forschungseinrichtungen der Hansestadt offiziell die Arbeit auf.
Das neue Forschungszentrum, in dem nun 153 WissenschaftlerInnen arbeiten, gilt neben dem Botanischen Institut in Flottbek, der TU-Harburg und dem Heinrich-Pette-Institut als vierter Eckpfeiler des Gentechnologiezentrums Hamburg. In vier Unter-Instituten und drei Nachwuchsforschergruppen sollen in der Martinistraße 85 mit Hilfe gentechnisch veränderter Viren und Bakterien die Geheimnisse des menschlichen Gehirns gelüftet werden.
Für die Gentech-Arbeiten verfügt die Forschungsstätte sogar über ein Labor der Hochsicherheits-Stufe „S 3“, das allerdings nur als „Sicherheitsreserve“ dienen soll – Forschungsvorhaben, die eine Benutzung des High-Tech-Labores erforderten, sind zumindest zur Zeit noch nicht geplant.
Die ZMNH-ForscherInnen wollen herausfinden, wie sich die 14 Milliarden Gehirnzellen miteinander verständigen. Denn je genauer die Arbeitsweise des menschlichen Denkapparates verstanden wird, umso leichter läßt er sich steuern. Eines der erklärten Ziele der Eppendorfer Neurobiologen ist die Entwicklung neuer Medikamente, die „gezielt auf spezifische Defekte zugeschnitten“ sind. Im Klartext: punktgenau wirkende, nebenwirkungsärmere Medikamente sollen chemische Allround-Keulen ersetzen, die ganze Hirnbereiche aktivieren oder vernebeln. Jürgen Dralle, kaufmännischer Leiter des ZMNH hofft, „daß man depressiven oder schizophrenen Menschen dann keinen Psychopharmaka-Rundschlag mehr in den Kopf donnern muß“.
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt der Mikrobiologen ist die Analyse der tückischen Alzheimer-Krankheit. Bei soviel Praxisbezug der Grundlagenforschung verwundert es kaum, daß bereits heute mehr als 5 Millionen des 8,7 Millionen-Jahresetats durch Drittmittel aufgebracht werden.
Während gestern in dem vierstöckigen, 6283 Quadratmeter großen Gebäude mit Wissenschaftssenator Leonard Hajen und Bürgermeister Henning Voscherau kräftig gefeiert wurde, versammelte sich vor dem Eingang ein gutes Dutzend Gentechnik-GegnerInnen in Trauerkleidung. Für die Bürgerinitiative gegen das Forschungs-Zentrum wird durch die gentechnische Manipulation von Lebewesen nach dem Baukastenprinzip „die Zukunft der Menschheit begraben“. Während Zentrumsleiter Thomas Jentsch „keine Gefährdung für die Nachbarschaft“ erkennen kann, kritisiert die Bürgerinitiative, daß „mitten in einem Wohngebiet“ mit erbgutveränderten Viren gearbeitet wird, deren unabsichtliche Freisetzung „unkalkulierbare Risiken“ mit sich bringe.
Daneben befürchten die Gentech-KritikerInnen, die zur Zeit gegen das Zentrum klagen, einen Mißbrauch der Forschungsergebnisse. Die medizinische Macht, Gefühle mit Medikamenten manipulieren zu können, sei allzu verführerisch. Denn die Vision von der guten Laune aus der Pillenpackung oder gar aus dem Wasserhahn ist kein Hirngespinst verschrobener Fortschrittsfeinde, sondern das Ideal manches Gentech-Fans.
So träumt etwa der in Geo und der Zeit publizierende Wirtschaftsjournalist Erwin Lausch „von einer friedfertig stimmenden Substanz, die – ins Leitungswasser gemischt – die Situation in Nordirland entschärfen könnte“.
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