: Erster Ärztestreik
■ Orthopäden ließen gestern Praxen zu
Zwei Drittel der rund 100 OrthopädInnen in Hamburg ließen gestern ihre Praxen geschlossen. Mit dem ganztägigen Streik demonstrierten sie erstmals gegen Einkommenseinbußen durch die Gesundheitsreform. Einige Praxen waren morgens nur mit ArzthelferInnen besetzt, andere verwiesen Patienten an Kollegen, die die Notfallversorgung übernommen hatten.
Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Hans-Jürgen Thomas, äußerte Verständnis für die Protestaktion. „Hier werden berechtigte Existenzsorgen ebenso deutlich gemacht, wie die Sorge um den schleichenden Qualitätsverlust in der Versorgung der Patienten“, betonte Thomas in Bonn. Auch anderswo in Deutschland seien Ärztestreiks nicht mehr auszuschließen.
Auf einer Versammlung im Hamburger Ärztehaus empörten sich mehr als 50 Orthopäden über „Ungerechtigkeiten“ des Anfang 1996 eingeführten Honorarsystems. Auch in anderen Stadtteilen informierten die Mediziner Passanten und Patienten über die Situation ihres Berufsstandes nach der Reform. Deren Ziel war es, die „sprechende Medizin“ durch bessere Bezahlung zu stärken und die teure Apparatemedizin, wie sie sich vor allem bei Fachärzten wie Orthopäden findet, einzudämmen. Mit 20 bis 30 Prozent waren die Einkommensverluste im ersten Quartal 1996 bei den Mitgliedern seines Berufsstandes besonders hoch, erklärte Jörge Ropohl, Obmann des Hamburger Berufsverbandes.
30 Prozent der Orthopädie-Praxen in Hamburg „droht die Pleite“, hieß es bei der Veranstaltung im Ärztehaus. ArzthelferInnen forderten auf Transparenten den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. „Zehn Prozent der Mitarbeiter müssen um ihren Job fürchten“, erklärte Ropohl. Wird das Honorarsystem nicht geändert, könnten die Orthopäden künftig keine chronisch Kranken mehr behandeln.
Es dürfe keine innerärztlichen Grabenkämpfe geben, hieß es im Ärztehaus. Ungeachtet der abgerechneten Behandlungen bleibt das Gesamthonorar für die gesamte Ärzteschaft auf einen bestimmten Betrag begrenzt. Ist dieser ausgeschöpft, gibt es für einige Leistungen kein Geld mehr. lno
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