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"Wie guck' ich denn dann?"

■ Was Clinton recht ist, ist BAP billig: Promotion für "Amerika" im Sonderzug

Die Pizzazungen im Berliner Hauptbahnhof sind ausverkauft. Ein untrügliches Zeichen dafür, daß etwas in dem nie vollendeten DDR-Plattenbau heute nicht normal läuft. Auf der Anzeigentafel steht unter Gleis1: Rockkonzert BAP. Wolfgang Niedecken, der kurz darauf eintrifft, wundert sich, daß auch die Berliner, obwohl die neue Platte erst einige Tage im Handel ist, die Texte mitsingen und den Takt beim Mitklatschen halten können. Schon beim nächsten Konzert in Hamburg-Altona merkt man, daß vielleicht gerade darin die Schwäche der Songs liegt.

Am Sonntag morgen ist die Band in Köln zu einer fünftägigen Tournee auf Schienen aufgebrochen. Er habe keine Lust mehr gehabt, die nunmehr 13. BAP-Platte mit einer normalen Promoreise anzupreisen, sagt Wolfgang Niedecken seinen Fans zu Beginn jedes Auftritts. Was Bill Clinton kann, Raver tun und DGB-Funktionäre, das kann BAP schon verdamp' lang – Sonderzug fahren.

Es paßt ja auch zum Image. Legendär der Massentauglichkeitstest damals beim Auftritt mit „Aufstehen“-Bots während der Bonner Friedensdemo 1982. Fortan galten sie als Politrocker, als moderne Süverkrüps mit E-Gitarren, als West-Biermänner, obwohl sie in ihren Songs politisch wohl gar nie so viel sagen wollten. In Verdacht, richtig radikale, böse Jungs zu sein, gerieten sie jedenfalls nie. Vielleicht auch unmöglich in Köln, Heimat von Biolek und Böll (den man ausführlich im Platten-Info zitiert), den Bläck Fööß, der Kelly Family und Tina Turner.

Hier betreibt man solides Handwerk. Der „Major“ Klaus Haeuser erzählt im Zug von seinem Arbeitstag als Hauptsongschreiber der Band: „Die Kleine geht in den Kindergarten, und ich geh' um neun in mein Studio im, abends komm' ich wieder raus.“ Wenn Haeuser unter seinem breitkrempigen Hut hervorlugt und von der kurzzeitigen Trennung der Band im letzten Jahr erzählt, wirkt er wie einer, dem fast seine selbstaufgebaute kleine Firma pleite gegangen wäre. „Ich hab ja keine Ausbildung. Abi, Zivildienst, BAP.“

Daß man im Prinzip mit diesem ehemaligen DDR-Regierungszug, der auf problemlosen Spur- und Sozialismusbreitenwechsel vorbereitet war, Richtung Stalingrad oder so fahren könne, sage ich zu Wolfgang Niedecken – nur so 'ne Idee. Ja, mit dem Ausland und BAP, das sei dann doch nicht so das richtige Ding, da gerate man leicht in „den roten Bereich“. Das meint er finanziell. Haeuser wiederum schwärmt ausführlich von Auftritten im roten Bereich. „Wir waren die erste Rockband der Welt in China“ – noch vor Wham und Michael Jackson. Irgendwie muß die Band den Kulturfunktionären vom Goethe-Institut als Vorgruppe der Rolling Stones bei zwei Kölner Konzerten damals aufgefallen sein. Für Haeuser war die Nähe zu Jagger und Richards einer der Höhepunkte seiner Karriere – „nur sprechen konnten wir nicht mit ihnen, aber wir durften hinter dem Mischpult sitzen“. In Peking mußte man hingegen eklige Quallen essen mit Funktionären. Eines Abends servierte man lebende Scampis. Haeuser war froh, als jemand diese mit Alkohol übergoß und anzündete, bis sie nicht mehr zappelten. Er hatte befürchtet, die Viecher aus Höflichkeit lebend essen zu müssen.

„Wolfgang steht auf Dylan und Springsteen, und ich auf die neue Sting“ – Haeuser ist der Kapellmeister. „Wenn der Wolfgang 'ne Textzeile beim Konzert ausläßt, muß ich der Band ein Zeichen geben. Fehler bemerke immer zuerst ich.“ Die fünf mitreisenden Fans – allesamt Mädchen – bestätigen Haeuser, daß er einen ganz bestimmten bösen Blick draufkriegt, wenn sich einer verspielt. „Wie guck' ich denn dann?“ will er wissen. Die Fans pofen in den braun genoppten Kojenbetten, in denen die DDR-Regierung schlief. Nur die merkwürdigen Duschen in den Klos mit original silbernem DDR-Plaste-Duschvorhang verschmähen sie. Die Band schläft im Hotel.

Der Umweg ist das Ziel, scheint der Lokführer heute zu meinen. Von Berlin nach Hamburg brauchen wir siebeneinhalb Stunden. Der DB-Zugbegleiter darf seit zwei Tagen keine Interviews geben, „ich darf Ihnen nicht mal sagen, daß mir das hier unheimlich Spaß macht, muß alles über die Pressestelle laufen“. Uli, die sich in der leicht schrottigen Zugküche ihre Kombüse eingerichtet hat, kommt bleich hereingewankt und fragt die Kölner Fans, ob sie vielleicht noch mal an der Kaffeemaschine einspringen könnten, sie fühle sich „seekrank“.

Bei langweiligen Journalistenfragen im Regierungssalonwagen, der laut einem Konstrukteur früher viel schöner aussah – „die haben das schöne Furnier mit Plakaten überklebt, die Stühle waren auch besser“ –, wuselt sich Niedecken durch seine leicht angegrauten Haare und erzählt Anekdoten vom Fußball. „Techno finde ich resignativ“ – den kann er also mit der Quotenforderung für deutsche Musik nicht gemeint haben. Das mit der Quote sei vielleicht keine besonders gute Idee, aber er wolle endlich wieder gute Musik im Radio hören. Deutschtümelei zu unterstellen sei Blödsinn.

Schon wieder kommt das TV- Team von vh-1 mit der bei Kameraleuten von Standby-Lächeln auf mechanisches Dauergrinsen umschaltenden VJeuse Anja Caspary. Man dreht Material für eine ganze BAP-Woche. Die Chance, ihr etwas zu sagen, das wohl sowieso nicht gesendet würde, verspielt Niedecken kurz hinter Schwerin, wo der Zug abrupt stoppt. „Hier, Bad Kleinen“, sagt er unsicher ins Mikro und zeigt aus dem Zugfenster. Irgendwie sei das „eine Ironie“, daß man gerade hier halte, während man unplugged fürs Fernsehen singe: „Ich wollte gerade einen lustigen Spruch machen, aber der ist mir dann doch im Hals stecken geblieben“, sagt er später leise.

Auf dem Abstellgleis in Altona frage ich den 39jährigen Major Haeuser, ob er sich nicht wie ein Rockfossil fühle. „Nö“, sagt er einfach. Andreas Becker

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