: Zwischen Klassik light und Elfenbeintrum
■ Thomas Albert präsentiert zum siebenten Mal das Musikfest Bremen: Mit Werken von Mozart und Schubert wird es heute von Nikolaus Harnoncourt im Dom eröffnet
Der 1929 geborene Nikolaus Harnoncourt ist vor über dreißig Jahren der erste Musiker gewesen, der an eine Interpretation nicht mit sentimentalem „feeling“, sondern mit akkuratem historischen und textlichem Wissen herangeht. Seine Ausführungen über Mozarts Tempobezeichnungen zum Beispiel sollten nicht nur für alle MusikerInnen Pflichtlektüre sein, sondern auch für die MusikliebhaberInnen, die über das Niveau, Musik sei Gefühl und ohnehin alles subjektiv, ein wenig hinauskommen wollen.
Daß Harnoncourt heute abend im Dom mit dem Chamber Orchestra of Europe das Musikfest eröffnet, hat zudem noch eine besondere bremische Komponente. Vor fast dreißig Jahren hat er als erster Cellist der historischen Aufführungspraxis die Bachschen Cellosuiten bei Radio Bremen produziert, in dieser Stadt hat er seine damals revolutionären Ideen dargelegt und einen jungen Mann wie Thomas Albert für das ganze Leben inspiriert und geprägt. Heute abend spielt er in Bremen Mozarts extreme „Prager Sinfonie“ und die große „Neunte“ von Franz Schubert. „Ein Mensch, der Schubert hört, wird verändert“, meint der Dirigent.
Daß nicht nur die Musik vor 1800 „Klangrede“ war, sondern auch noch lange danach, weist heute nicht nur Harnoncourt unermüdlich nach. Das Musikfest bietet in den nächsten sechs Wochen in 37 Aufführungen die zu Recht berühmtesten Dirigenten „der Szene“ und dazu die Orchester, die unter neuen Organisations- und Arbeitsbedingungen optimale Leistungen erzielen. In diesem Sinne sind auch von den Kammermusik- und Chorkonzerten Spitzenleistungen zu erwarten.
Sogar unsere Kultursenatorin zeigt sich lernfähig: „Kultur ist ein grundständiger eigener Wert für Lebensqualität“, sagte Bringfriede Kahrs den erstaunten JournalistInnen in der Pressekonferenz. Große Worte, die nur noch vom Wirtschaftssenator Hartmut Perschau übertroffen wurden: „Ein geistiges Klima ist das beste, um Unternehmer zu locken“. Darum wiederum geht es Thomas Albert nicht unbedingt, der will die „Schere schließen zwischen den fürchterlichen Produkten von Klassik light und dem Elfenbeinturm der KennerInnen“.
Immerhin geben 25 (!) bremische Firmen 1,5 Millionen und die öffentliche Hand nur die Hälfte davon. Hartmut Perschau meint, daß die Firmen um „den werbewirksamen Effekt wissen“, Thomas Albert lobt die kaufmännischen Partner als ästhetische Innovatoren. Wie auch immer, wir haben Konzerte der Spitzenklasse zu erwarten. Ute Schalz-Laurenze
Heute abend um 18 Uhr im Dom: Eröffnungskonzert des Musikfestes. Das Chamber Orchestra of Europe spielt unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt.
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