: Politpunk mit Stil
■ Macht kaputt, was ihr nicht reparieren könnt: Die Hamburger Goldenen Zitronen wollen ihre Suppe nicht essen
Schlechter Anfang: Die zu interviewenden Goldenen Zitronen sitzen in Dreierformation an einem der wuchtigen Holztische der Kreuzberger Lokalität „Markthalle“, und allzuviel Saft scheinen Schorsch Kamerun, Ted Geier und Neuzugang Hans Platzgumer (Ex–H.P.Zinker) schon nicht mehr zu haben. „Wir sind heute morgen ziemlich früh mit dem Auto in Hamburg losgefahren.“
Es herrscht die etwas trübe Stimmung eines WG-Vorstellungsgesprächs, was um fünf alternative Ecken herum ja auch zur Geschichte der Zitronen paßt: Vom sogennanten Fun-Punk hin zum politisch korrekten, engagierten Lied, das sich den Spaß am Wortspiel trotzdem nicht verbieten lassen will. Messages für die interdisziplinäre Volxküche gewissermaßen, oder, wie Jochen Distelmeyer von Blumfeld es ausdrückte: „Geile Texte vom Ende des Sozialstaats.“
„Das bißchen Totschlag“ hieß das Vorgängeralbum – eine sehr freie Coverversion des Johanna- von-Koczian-Hausfrauen-Mitsinghits „Das bißchen Haushalt“, bezogen auf Stimmungen und Tatsachen seit Hoyerswerda, dem Erweckungserlebnis der hedonistischen Linken. Rund zwei Jahre danach sind die Verhältnisse kaum besser – leider auch nicht auf linker Seite. Viel ist von den sogenannten Wohlfahrtsausschüssen, die die Repolitisierung des Pop betreiben sollten, nicht geblieben, schon eher macht man wieder auf privat – was sich auch auf die Songs der neuen Zitronen-CD „Economy Class“ ausgewirkt hat. „Meine kleine Welt“ heißt einer. Ted Geier: „Der Schwerpunkt hat sich aufs Privatistische verschoben, was aber auch eine Reaktion auf das Phänomen ist, das auch innerhalb der Linken inzwischen zur Normalität geworden ist, sich an bestimmte Dinge zu gewöhnen, wir greifen das auch in ,Ich esse meine Suppe nicht‘ auf“.
Der Song schildert drastisch die Sichtweise eines Angestellten der Hamburger Umweltbehörde, der wegen eines Streits um das Öffnen eines Fensters einen Schwarzen in der S-Bahn erstach. Der Mann wurde freigesprochen. „Wir dokumentieren eher den Prozeß des Rückzugs ins Private, als daß wir selbst entpolitisiert wären in den letzten zwei Jahren. Wir persönlich essen unsere Suppe sowieso nicht.“
Spaßpunk ist das wirklich nicht mehr zu nennen, mit Bierzelten will man trotz der zeitweiligen Andeutung auch kommerzieller Erfolge nichts zu tun haben – lieber zwischen die Stühle als in die Businessklasse setzen. Auch das einende Band mit Mitstreitern von damals, den Punkmillionären Ärzte und Hosen, ist dahin. Ted Geier: „Ich find' das schade, die Ärzte waren eigentlich die schlauere Band im Vergleich zu den Hosen. Die hatten damals eine offene, lustige, charmante Art, die Massen zu institutionalisieren für irgendwelchen Schwachsinn. Die Auflösung zu dem Zeitpunkt war auch gut. Jetzt haben sie die ganze Schlauheit, mit der sie ihre Karriere aufgebaut und beendet hatten, verloren.“ Schon eher aufgehoben fühlt man sich immer noch in der linken Stadtteilkultur. „Wir haben kein Problem mit denen und die auch nicht mit uns. Vor allem nach der ,Totschlag‘-Platte. Die Leute haben höchstens Probleme auf der ästhetischen Ebene, mit unserem Outfit.“
Ansonsten versteht man die Mitgliedschaft in der sogenannten Hamburger Schule als Aufruf zur denkenden Boheme. Analyse, Baby! Und auch wenn der Schuh zu groß erscheint, zwischen den Rillen der neuen Platte ruft es heftig: Macht kaputt, was ihr nicht reparieren könnt! Keine Kapitulation vor der „kleinen Welt“, in der vor Betreten die Schuhe auszuziehen sind, damit der abgezogene Fußboden nicht versifft. Hektisch und mit viel zu schwerem Werkzeug zertrennen die Zitronen die Flokatis, die uns einmal verbanden. Auch das dumme Kneipengequatsche und Sichbestätigen des jeweiligen Selbstweltbilds (I like „Pulp Fiction“ & Easy Listening etc.) wird brachial qua Megaphongesang und falschem Saxophonspiel kaputtgehauen. Plötzlich dann ein „richtiges“ Piano, ein Jazzrhythmus: „Was einmal war, wird nie mehr sein.“ Swing and Destruktion, Haß und Dufflecoats – und trotzdem „geht's uns doch auch gut zur Zeit, hier in Marburg“. Mancher Tocotronic-Fan fragt sich bis heute : Meinen die das ernst? Solche Zweifel kommen bei den Zitronen leider kaum auf.
Multiinstrumentalist Hans Platzgumer gibt dem neuen Zitronen-Sound was, tja... Avantgardeartig-Jazziges. Die Collage auf der Rückseite der neuen Platte, auf der sich die fünf Zitronen dadaistisch in ein Ornette-Coleman-Trio-Cover von 1965 schummeln, ist immer noch überdreht vermessen, denn an den Meister des Plastiksaxophons kommen sie natürlich nicht heran. Im Endeffekt wirkt die aktuelle Zitronen-Musik denn doch eher chaotisch als harmolodisch.
Kamerun sieht die Band in einer freien Entwicklung, da man in den 10 Jahren diverse Stile hinter sich gelassen habe. Geier sieht sich als Gärtner im Soundgarten: Wie bei Veredelung eines Apfelbaums versuche man erneut, einen weiteren Zweig auf das Basisgebilde Goldene Zitronen aufzupfropfen. Du kannst es auch „work in progress“ nennen. Man geht in den Proberaum und spielt drauflos, taped das Entstandene und geht dann mit der Kassette ins Studio.
Oder man geht auf die Straße. Bei ihrer Tour im Oktober und November sollen die ohne traditionelles Songwriting entstandenen Pflänzchen noch einmal ordentlich gewässert werden. „Absichtliche Schlampigkeit bei der Produktion“ attestiert die Band sich selbst. Ob das 96 noch als Subversion durchgeht? Andreas Becker
Die Goldenen Zitronen: „Economy Class“ (Sub Up Records/ EfA)
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