: Drücken Sie bitte die Neun Von Ralf Sotscheck
So etwas hatte ich lange nicht gesehen: Auf dem Nachttisch im Hamburger Hotelzimmer stand ein Bakelittelefon mit Wählscheibe. So altmodisch der Apparat, so modern die Gebühren – jede Einheit sollte eine Mark kosten, was ein Gespräch mit den Lieben daheim in Dublin zu einem teuren Vergnügen gemacht hätte.
Aber wozu gibt es „Irland direkt“? Die irische Telecom wirbt in ihrer vierteljährlichen Informationsschrift für bargeldlose Telecard-Benutzer, es sei „noch nie leichter gewesen, zu telefonieren, wenn man auf Reisen ist“. Wahrscheinlich saßen die Verantwortlichen für diesen Unsinn noch nie in einem Hamburger Hotelzimmer mit Bakelittelefon.
Zunächst ging alles gut: Nachdem ich die unendlich lange Telefonnummer mit verblüffend vielen Nullen trotz der wackligen Wählscheibe bewältigt hatte, meldete sich eine Tonbandstimme mit leichtem Dubliner Akzent. „Für ein R-Gespräch drücken Sie bitte die Eins“, tönte es, „für ein Gespräch mit Telecard drücken Sie die Zwei. Wenn Sie Hilfe benötigen, warten Sie auf unseren Telefonisten.“ Doch der hob auch beim fünften Versuch nicht ab. Da es schon ziemlich spät war, vermutete ich, daß er längst im Pub saß.
Am nächsten Morgen hatte ich mehr Glück. Ein junger Mann meldete sich und erklärte nicht unhöflich, daß ich als Telecard-Besitzer durch einfaches Eintippen meiner Kartennummer plus Geheimzahl auch ohne seine Hilfe telefonieren könnte. „Hier gibt es nichts zum Tippen“, sagte ich, „sondern nur zum Drehen.“ Nach einer peinlichen Gesprächspause sagte er, daß er solche Apparate aus den Erzählungen seiner Großmutter kenne. Von wo ich denn anriefe? „Aus Hamburg“, antwortete ich. „Nein, nein“, entgegnete er, „ich meinte: aus welchem Jahrhundert?“
Aber auch mit einem modernen Tastentelefon geht nicht immer alles glatt. Als ich neulich beim irischen Fremdenverkehrsamt anrief, um eine Informationsbroschüre zu bestellen, meldete sich wieder eine Tonbandstimme, die der „Irland-direkt“-Stimme aufs Haar glich. Big Brother? „Für Reservierungen und Informationsmaterial drücken Sie bitte die Eins“, empfahl er. „Wollen Sie mit einer bestimmten Person sprechen, wählen Sie deren Apparatnummer.“
Ich drückte gehorsam die Eins, und die Stimme fragte mich, ob ich aus Irland oder dem Ausland anriefe. Ich drückte. Die Stimme fragte. Ich drückte wieder. So ging das eine ganze Weile.
Langsam kam mir der Verdacht, daß ich gerade Opfer einer publikumsverarschenden Radiosendung wurde, doch schließlich wollte man von mir wissen, ob ich mit meiner Kreditkarte bezahlen würde. In diesem Fall wäre die Zwei zu drücken gewesen. Da ich jedoch ein kostenloses touristisches Infoblättchen wollte, drückte ich die für kreditkartenlose Anrufer vorgesehene Drei.
Damit war das lustige Frage- und-Drück-Spiel vorerst beendet. „Begeben Sie sich in das nächstgelegene Fremdenverkehrsamt“, wurde mir per Tonband befohlen, „und holen Sie sich ihre Broschüre dort ab.“ Dann folgte eine langsam gesprochene Auflistung sämtlicher Zweigstellen im ganzen Land. Zum Schluß sagte die Stimme höhnisch: „Wenn Sie das alles noch mal hören möchten, drücken Sie bitte die Neun.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen