: Überfälliger Frieden
■ Jelzin mißgönnt Lebed den Triumph in Grosny
Die Tschetschenen feiern den Frieden, der in Moskau indes nur verhalten aufgenommen wird. Nach fast 21 Monaten Blutvergießen unterschrieben Boris Jelzins Beauftragter Alexander Lebed und der Rebellengeneral Aslan Maschadow einen Waffenstillstand. Der entscheidende Streitpunkt, die Klärung der staatlichen Unabhängigkeit der Kaukasusrepublik, wird dabei fünf Jahre hinausgeschoben. Ein Kompromiß, erzielt in knapp zwei Wochen Verhandlungen. Jelzin hat inzwischen verkünden lassen, das Dokument bedürfe noch genauester Prüfung. Worin die Änderungswünsche des Kreml bestehen, weiß noch niemand. Wahrscheinlich weiß Jelzin es selbst nicht. Denn Frieden ist Frieden.
Von dem Zugeständnis, das Referendum erst einmal auszusetzen, aber nicht endgültig darauf zu verzichten, werden sich die Tschetschenen nicht abbringen lassen. Das steht fest. Moskau hätte zumindest diese Lehre aus dem blamablen Waffengang ziehen können: Was man im Kaukasus sagt, gilt. Und den Krieg erneut zu entfachen, ist Rußland kaum noch in der Lage. Zudem wurden durch den Truppenabzug Fakten geschaffen.
So beginnt nun eine neue Schlacht im Propagandakrieg. Jelzin und Tschernomyrdin stehen ziemlich nackt da. Sie schauen nicht nur auf die Trümmer in Grosny, sie müssen auch den Schutt aus Lügen entsorgen, den sie zusammengetragen haben. „Wiederherstellung der Verfassungsordnung“, „bewaffnete Banden“ und was man sich nicht noch alles ausgedacht hatte, um das Gemetzel zu rechtfertigen. Daß Jelzin nun an dem Verhandlungsergebnis herummault, hat einen kleinlichen, durchsichtigen Grund. Der Frieden ist allein Lebeds Verdienst, dem Jelzin den Triumph nicht gönnt.
Rußlands Eitelkeit hat wieder einen Schlag versetzt bekommen. Die UdSSR ist zerfallen, die Weltmachtrolle geschrumpft, nun mußte man sich auch noch von dem kleinen Kaukasusvolk den Frieden diktieren lassen. Das schmerzt – mehr noch als die zigtausend Toten auf dem Schlachtfeld. Daher redet man nun von unehrenhaftem Frieden und Kapitulation. Jetzt hätte Rußland die Chance, in sich zu gehen und jene widerwärtige Haltung gegenüber anderen Nationalitäten zu überdenken. Macht Schaden klüger? Klaus-Helge Donath
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