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Tausend Performer gesucht!

Die kulturelle Vielfalt der Musik schwindet. Gegen den Strom schwimmt die Musikperformance „Udlot Udlot“ von José Maceda in Europa  ■ Von Frank Gertich

Die Landschaft ist, was wir wahrnehmen, wenn wir uns umsehen. Selbst wenn wir die Augen schließen, befinden wir uns inmitten einer akustisch definierten Wahrnehmungsumgebung. Einer Klanglandschaft. Der Filipino José Maceda (geb. 1915) produziert Klanglandschaften. Er ist der namhafteste Musikforscher seines Landes. Seine Untersuchungen zur äußerst vielfältigen philippinischen Musikkultur sind Standardwerke und wurden in verschiedene „Weltsprachen“ übersetzt. Die von ihm beschriebenen Musiken sind momentan im Aussterben begriffen, denn das Popmusik plärrende Transistorradio dringt unaufhaltsam auch in die entlegensten Regionen des Inselstaates vor. In seiner reflektierenden Tätigkeit als Autor setzt er die im asiatischen Raum verbreiteten musikalischen Techniken in Bezug zu ihrem kulturellen Kontext.

Maceda ist auch Komponist, und als praktizierender Musiker versucht er, durch den gezielten Einsatz jener indigenen musikalischen Techniken ihrem Verfall entgegenzuwirken. Die Aufführungen seiner Kompositionen sind von spektakulärer Wirkung, denn seine Stücke sehen als Besetzung „Hundreds or Thousands of People“ vor. Die Mitwirkenden sind in Gruppen mit der Ausführung einfacher musikalischer Elemente vertraut, etwa simpler rhythmischer Konzepte, die jedoch individuell zu variieren sind. Diese Art des gemeinsamen Musizierens ist im gesamten südostasiatischen Raum im dörflichen Kontext weit verbreitet und erfährt in Macedas Stücken als klangliches Massenphänomen eine künstlerische Erneuerung.

Sein „Udlot Udlot“ von 1975 sieht zum Beispiel „Hunderte oder Tausende von Aufführenden“ vor, die verschiedene rhythmische und melodische Fragmente spielen und singen. Die Musik entstammt verschieden tribalen philippinischen Musiken.

Das Konzept der Klanglandschaft (engl.: Soundscape) hat vor allem der kanadische Musiker und Klangforscher R. Murray Schafer formuliert und in seinem Standardwerk „The Tuning of the World“ (1977; deutsch: „Klang und Krach“) umfassend dargestellt. Das Buch bringt ein breites Spektrum von Forschungsergebnissen und verleiht der Soundscape-Idee historischen Horizont und soziale Perspektive. Mittlerweile beschäftigen sich damit zahlreiche Zeitgenossen in aller Welt; die so entstandene Disziplin der „Akustischen Ökologie“ hat sich mit dem „World Soundscape Project“ (seit 1969) und mit der Gründung des „World Forum for Acoustic Ecology“ im Jahre 1993 ihre institutionelle Basis geschaffen.

In die europäische Musikgeschichte war der Klang der Umwelt in seiner industriell-modernen Form als Stadt- und Maschinenlärm bereits gegen 1910 eingebrochen. Die italienischen Futuristen verherrlichten später auch den Ersten Weltkrieg als grandioses Klangereignis. Im Bereich der Bildenden Kunst zeigt sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gleichfalls ein verstärktes Interesse, zum einen an der Beschäftigung mit der Umwelt, zum anderen an der Verwendung von Klang.

Inzwischen wird von einer neuen Kunstgattung, eben der Klangkunst gesprochen. Die Tragfähigkeit dieser Begriffsbildung muß sich erst noch herausstellen. Immerhin ist in diesem Zusammenhang in Berlin jüngst ein großangelegtes Klangkunstfestival unter dem Titel „sonambiente“ zustande gekommen.

Klanglandschaft sind entscheidend von kulturellen Determinanten geprägt. Wo Menschen sind, erzeugen sie auch Klang, und diese akustische Umgebung wird in hohem Maße von ihrer Lebensweise bestimmt. Die Veränderung der Klanglandschaften ist aussagekräftiges Abbild der jeweiligen sozialen Lebenswelt. Das betrifft den täglichen Arbeitsablauf genauso wie den etwa an astronomischen Daten orientierten Zeitpunkt einer rituellen Handlung. Das betrifft auch die Veränderung oder das Verschwinden der dadurch erzeugten Klangverläufe, etwa durch die radikale Umwälzung der Produktionsweisen in der sogenannten Dritten Welt im Gefolge des euro-amerikanischen Technologie- und Kulturimperialismus.

Die momentan im Gange befindliche weltweite Einebnung der Klanglandschaft ist ein Prozeß, der an Bedeutung mit dem Verlust der biologischen Vielfalt durch das globale Artensterben zu vergleichen ist. Nicht nur die Klänge überlieferter Fertigungstechniken, sondern auch Klangereignisse wie traditionelle Feste, die in ihrer ethnische Identität stiftenden Bedeutung nur schwer einzuschätzen sind, kommen mit dem Verschwinden der kulturellen Unterschiede unter die Räder. Die nicht-differenzierende Dampfwalze überrollt auch abstraktere Konzepte wie zum Beispiel die in vielen Kulturen anzutreffende Vorstellung vom Rad der Wiederkehr, also von einer zyklischen Gestalt der Zeit. Diese Auffassung, von der europäisch-aufklärerischen Vorstellung einer linearen, zielgerichteten Zeit grundsätzlich verschieden, prägt auch die traditionelle Musik der meisten Völker der Erde.

Die europäische Kunstmusik hat sich im Verlauf der letzten zweihundert Jahre von dem im einheitlichen Taktmaß verkörperten Wiederkehrprinzip zu emanzipieren versucht. Nun hetzt sie – in der akademischen Musik der sogenannten Avantgarde jegliche Wiederholung streng tabuisierend – atemlos dem Zeitpfeil hinterher. Im Verlauf der weltweit wuchernden Verwestlichung, die die musikalische Ausbildung auch in Kulturen, die zum Teil Tausende von Jahren älter sind, mit dem mitteleuropäischen Musikdenken kolonisiert, wird nun dieser ästhetische Dauerlauf als musikalisches „Weltniveau“ kultiviert.

In letzter Zeit mehren sich die Stimmen gegen diese Entwicklung, allzu oft gestützt von den dumpfen Sehnsüchten verwirrter Sinnsucher, die auf wabernden Sphärenklängen sanft ins New Age gleiten wollen.

Die Vergnügungssucht besinnungsloser Hedonisten, die zum Beweis ihrer Weltläufigkeit auf die – einst als kommerzieller Trick etablierte – „World Music“ abtanzen, verhilft immerhin noch einer Handvoll Musikern aus aller Welt zu einem Auskommen. Zunehmend jedoch melden sich auch eigenständige Musiker aus den vermeintlichen kulturellen Entwicklungsländern zu Wort. Relevante Äußerungen, die beachtenswerte Stimmen in die Partitur einer erst noch auszubildenden Weltmusik einschreiben.

Eine dieser Stimmen ist die des Filipinos José Maceda.

„Udlot Udlot“ wird am 22. September in Berlin (Podewil) und am 28. September in Köln (Japanisches Kulturinstitut) zur Aufführung kommen, unter der Leitung des Komponisten und im Rahmen der Europatournee des „Kyoto International Contemporary Music Forum“. Neben Macedas Stück wird es eine Performance des japanischen Künstlers Akio Suzuki und das ebenfalls aus Japan stammende Ambient-House-Projekt um den Computermusiker Masahiro Miwa geben. Mitwirkende für „Udlot Udlot“ werden noch gesucht!

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